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05222 Überbetriebliche Gesundheitsnetzwerke im Handwerk

Der Beitrag stellt die Entwicklung von sogenannten Präventionsallianzen (überbetrieblichen Gesundheitsnetzwerken) vor, die sich in den vergangenen 30 Jahren gebildet haben, um die Arbeitssicherheit in den Betrieben zu verbessern sowie den Weg für ein Betriebliches Gesundheitsmanagement, eine Betriebliche Gesundheitsförderung und den Präventivgedanken zu ebnen. Nach einem generellen Überblick über die Thematik und die Voraussetzungen für die Entstehung dieser Netzwerke stellt der Beitrag die wichtigsten bundesweiten Initiativen kurz vor. Schwerpunkt des Beitrags ist die Bildung von Präventionsallianzen in den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) des Handwerks. Diese stehen gleich vor einer doppelten Herausforderung: ein modernes Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagement in ihren Betrieben umzusetzen einerseits und Arbeits- und Geschäftsprozesse zu digitalisieren andererseits. Es werden Projekte/Initiativen sowie deren Unterstützungsinstrumente vorgestellt, die den Handwerksunternehmen helfen sollen, unter anderem diese Doppelbelastung besser zu managen.
von:

1 Einleitung: Definition, Merkmale, Entstehungsbedingungen

Seit einigen Jahrzehnten schon ist das Thema „Cluster-Bildung” und „Netzwerkbildung” ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaftspolitik, insbesondere in der regionalen Wirtschaftsförderung. Regionalpolitische Akteure versprechen sich von diesen basierend auf der räumlichen Nähe und den intensivierten sozialen Interaktionen die Steigerung von Innovationsraten und damit einhergehendes wirtschaftliches Wachstum. Die Idee der Cluster-Bildung hat seit den neunziger Jahren auch Einfluss auf den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz gewonnen. Doch zielten erste Initiativen zunächst auf Großunternehmen, während kleine und mittlere Unternehmen (im Folgenden als KMU bezeichnet) vernachlässigt wurden [1].
Clusterbildung
Es bestand gerade in KMU mit ihren begrenzten personellen, zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten ein besonderer Bedarf an Unterstützungsangeboten durch externe Akteure, die auch über die notwendigen Wissens- und Kompetenzressourcen verfügen. Besonders rudimentär sind Strukturen und Prozesse des Arbeitsschutzes, des Betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Betrieblichen Gesundheitsförderung in den Betrieben des Handwerks ausgebildet.
KMU als Zielgruppe
Gravierende Veränderungen in Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft seit den neunziger Jahren machen es für die Handwerksunternehmen aber unabdingbar, auch auf diesem Gebiet Rückstände schnell aufzuholen, Verbesserungen und Innovationen voranzutreiben und für neue Fachkräfte durch ein umfassendes Gesundheitsmanagement attraktiver zu werden. Dazu bieten überbetriebliche Gesundheitsnetzwerke, egal ob regional oder bundesweit organisiert, einen potenziell sinnvollen Ansatz, um KMU wie die Handwerksbetriebe bei der dringend erforderlichen Transformation zu unterstützen und zu begleiten.

1.1 Sozioökomische Rahmenbedingungen für KMU

Was sind die wichtigsten Entwicklungen, die KMU vor große Herausforderungen stellen? Der ständige Wandel der Arbeitswelt durch technische Innovationen, neue Arbeitsverfahren und strukturelle Veränderungen in der Arbeitsorganisation hat dazu geführt, dass die Themen Arbeitssicherheit und Gesundheit in den Unternehmen und Organisationen immer größere Bedeutung erhielten. Die Arbeitgeber können seit der Reform der Arbeitsschutzgesetzgebung allgemein vorgegebene Schutzziele eigenverantwortlich gestalten und umsetzen, daher liegt es seitdem in erster Linie an ihnen, wie hoch die Standards des Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Betrieb sind [1] [2].
Wettbewerbsdruck auf Betriebe
Der Rückgang der Geburtenrate bei gleichzeitiger Zunahme der Lebenserwartung führte zu einer Alterung der Gesellschaft und der Belegschaften in den Unternehmen. Die fortschreitende Internationalisierung und Globalisierung erhält immer mehr Dynamik und erhöht den Wettbewerbsdruck teilweise sogar auf Unternehmen, die nur lokal oder regional tätig sind.
Der bisherige Anbietermarkt entwickelte sich infolgedessen zunehmend zu einem Nachfragemarkt, auf dem sich die Unternehmen viel stärker als zuvor an den Wünschen und Interessen der Käufer orientieren und dementsprechend flexibel sein müssen, um jederzeit individuelle Kundenwünsche befriedigen zu können. Dies erhöhte auch den Anpassungsdruck auf die einzelnen Beschäftigten.
Anpassung an neue Technologien
Ein weiterer Aspekt des Wandels betrifft die rasante Entwicklung der Digitalisierung. In Hinsicht auf die alternden Belegschaften bieten sie einerseits neue Lösungen zur gesundheitsorientierten und alters- und alternsgerechten Gestaltung von Arbeitsplätzen. Die digitalen Technologien mit ihren auf sie ausgerichteten neuen Arbeitsformen bergen für die Beschäftigten aber andererseits auch neue Risiken, beispielsweise einen Anstieg psychischer Belastungen. Ziel einer modernen Unternehmensführung muss es daher sein, den technischen Fortschritt so zu nutzen, dass die Betriebe trotz dieser Herausforderungen die Arbeitsumgebungen gesünder und sicherer als jemals zuvor gestalten können.
Mangelnde Ressourcen
Die Grundlage zur Bewältigung dieser Herausforderungen und zur Erreichung dieses Ziels bildet die Optimierung der Schnittstellen zwischen Mensch, Arbeit und Organisation. Mit den bisherigen Verfahren des betrieblichen Arbeitsschutzes mit ihrem Fokus auf der Unfallvermeidung und dem reaktiven Gesundheitsschutz allein ist dies nicht mehr zu erreichen. Vielmehr müssen die Unternehmen präventiv tätig werden und die Gesundheit ihrer Beschäftigten gezielt fördern. Das Ziel sollte die Entstehung einer ganzheitlichen Gesundheitskultur sein, die alle Bereiche und Prozesse des Unternehmens durchdringt. In vielen größeren Unternehmen hat man dieses Ziel auch schon erreicht oder kommt ihm zumindest schon sehr nahe. Ganz anders aber sieht es noch beim Großteil der KMU aus. Diverse Informations-, Wissens-, Kapazitäts- und Motivationsdefizite hemmen vielfach die notwendige Transformation.

1.2 Präventionsallianzen als Antwort auf Herausforderungen

Eine Lösung, damit auch diese Betriebe umfassende Gesundheits- oder Präventionskulturen aufbauen, können überbetriebliche Gesundheitsnetzwerke, Gesundheits-Cluster, Präventionsnetzwerke oder Präventionsallianzen (im Folgenden Präventionsallianzen genannt) sein [1].
Stakeholder unterstützen
In ihnen sorgen kompetente Stakeholder für die notwendige Unterstützung bei der Implementierung und Umsetzung einer Arbeitssicherheits- und Gesundheitskultur in KMU. Es geht in erster Linie um die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen. Aber auch mit ihren finanziellen und zeitlichen Ressourcen können die unterstützenden Akteure den teilnehmenden KMU helfen. Der Sinn der Präventionsallianz ist es, die KMU in die Lage zu versetzen, in ihren Betrieben angepasste Prozesse und Strukturen für die Verbesserung der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes aufzubauen. Die dafür relevanten Kompetenzen werden durch Beratung, Schulungen, Workshops oder durch Maßnahmenbegleitung bei der Durchführung vermittelt. Der Kompetenzausbau muss vor allem an zwei Punkten ansetzen [1]:
Bedarfe an Gesundheitskompetenzen
Soziale und organisationale Kompetenzen: In der modernen Arbeitswelt gelangt das Individuum immer schneller an seine Grenzen. Die Zukunft gehört daher der Team- oder Gruppenarbeit. Diverse Studien konnten einen engen Zusammenhang zwischen Leistungsfähigkeit, Mitarbeiterzufriedenheit und sozialer Vernetzung im Betrieb nachweisen. Ihnen zufolge besteht eine enge Korrelation zwischen dem Grad der sozialen Unterstützung durch Kollegen und Kolleginnen sowie Vorgesetzten und der Gesundheit der Beschäftigten. KMU müssen also lernen, wie sie die Arbeit im Unternehmen so strukturieren, dass sie den Beschäftigten eine möglichst große Arbeits- und Lebensqualität bietet.
Personelle Kompetenzen: Die umfangreichsten Anforderungen liegen im personalen Bereich, die sich mit den oben genannten sozialen und organisationalen Anforderungen überschneiden. Aufgaben und Kompetenzprofile der Beschäftigten werden sich in Zukunft weiterhin immer schneller verändern. Das erfordert entsprechende flexible Qualifizierungsstrategien zur Ausbildung von Kompetenzen sowie eine lernförderliche Arbeitsorganisation. In welchem Umfang sich Beschäftigte für arbeitsbezogene Lern- und Trainingsmaßnahmen interessieren und diese tatsächlich nutzen, hängt entscheidend von der Motivation jedes einzelnen Mitarbeiters ab. Gerade in kleinsten und kleinen Unternehmen ist es daher dringend erforderlich, dass sich die Arbeitgeber kontinuierlich um die Motivation eines jeden Beschäftigten kümmern.

1.3 Stakeholder

Doch bevor die Unternehmen ihre eigenen Beschäftigten motivieren können, müssen sie für die Einführung eines konsequenten und umfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements erst selbst motiviert werden. Denn wie bereits oben erwähnt bestehen bei vielen KMU hinsichtlich der Umsetzung einer innerbetrieblichen Gesundheitsstrategie neben Informations- und Kapazitäts- teilweise auch Motivationsdefizite [1]. Für Motivation ist es für die Initiatoren einer Präventionsallianz daher besonders relevant, die KMU auch von den finanziellen und wirtschaftlichen Vorteilen der jeweiligen gesundheitsorientierten Maßnahmen für das Unternehmen zu überzeugen. Denn ganz ohne Aussicht auf einen späteren wirtschaftlichen Nutzen wird kaum ein KMU bereit sein, einem solchem Netzwerk beizutreten.
Im Rahmen der Netzwerkarbeit muss darüber hinaus genau eruiert werden, welches der teilnehmenden KMU welche Unterstützungsleistung besonders dringend benötigt und welcher Kompetenzpartner welchem KMU die erforderliche Leistung am besten vermitteln kann. Je nach Art der Präventionsallianz kann es sinnvoll sein, auch Betrieben, die formell nicht der Präventionsallianz angehören, Zugang zu den Dienstleistungen der Allianzpartner zu gewähren [1].
Präventionsallianzen
Zu den potenziellen Kompetenzpartnern einer Präventionsallianz zu den Bereichen Arbeitssicherheit, Gesundheitsmanagement und Gesundheitsförderung gehören vor allem die folgenden institutionellen Akteure [1]:
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
das Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)
die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)
die Deutsche Rentenversicherung (DRV)
der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB)
die Nationale Arbeitsschutzkonferenz (NAK)
die Handwerkskammern
die Industrie- und Handelskammern (IHK)
die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung (BPGF)
die Bundesagentur für Arbeit (BA)
Neben diesen externen institutionellen Akteuren existieren auf dem privaten Sektor weitere potenzielle Allianzpartner, beispielsweise private Stiftungen, Unternehmensberatungen, Coachingunternehmen, private Bildungsträger und Gesundheitsdienstleister, die nicht durch die staatlichen Versicherungssysteme finanziert werden.

1.4 Großunternehmen als Partner

Präventionsallianzen können aber auch in Form „Runder Tische” ausschließlich zwischen großen Unternehmen und KMU derselben Branche oder Region gebildet werden. Großbetriebe als Akteure verfügen oftmals über eine gut aufgebaute betriebliche Gesundheitsförderung und die Vorhaltung von speziell qualifiziertem Personal, von dem örtlich oder regional ansässige KMU profitieren könnten [1] [2].
Regional- und branchenspezifische Allianzen
Dafür kommen in erster Linie solche KMU als Netzwerkpartner in Betracht, die Geschäftspartner des jeweiligen Großunternehmens sind, beispielsweise dessen Zulieferbetriebe [1] [2].
Eine weitere Möglichkeit einer Präventionsallianz zwischen Großunternehmen und KMU besteht, wenn das Großunternehmen von dritten Institutionen/Akteuren mit der Bereitstellung von präventionsrelevanten Leistungen für die Präventionsallianz beauftragt wird.

1.5 Sicherheit für teilnehmende KMU

Wie auch immer die Partnerschaft zwischen Dienstleistern bzw. beratenden Institutionen einerseits und KMU andererseits aussieht: Das Ziel muss immer sein, den KMU praktikable Lösungswege zu zeigen und sie entsprechend ihren Bedürfnissen, Anforderungen und Interessen bei der Implementierung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements zu unterstützen. Die einzelnen Maßnahmen müssen also spezifisch an die Individualität des jeweiligen KMU angepasst werden.
Zusicherungen bei Teilnahme
Die an einer Präventionsallianz interessierten KMU sollten darüber folgende Zusicherungen erhalten, um die Teilnahme am Netzwerk für sie so attraktiv wie möglich zu machen [1]:
Die Möglichkeit zur zeitlich befristeten Teilnahme.
Die vollständige Transparenz von (möglichen) finanziellen Kosten, zeitlichem Aufwand und zu erwartenden Leistungen.
Eine realistische Prognose des ökonomischen Nutzens für die teilnehmenden Unternehmen.
Die Wahrung des Datenschutzes zur Absicherung der wirtschaftlichen Interessen des KMU.
Ein schneller und unbürokratischer Zugriff zu Ansprechpartnern und Ressourcen des Netzwerks, beispielsweise durch Kommunikation über speziell dafür bereitgestellte Onlineplattformen.

2 Entstehung und Entwicklung von Präventionsallianzen

Erste externe Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Gesundheitsprävention für Unternehmen bildeten sich ab Mitte der neunziger Jahre [1] [3]. Da diese Angebote in allen Fällen lediglich durch jeweils eine einzige Institution geplant und umgesetzt wurden, möchte sie der Autor dieses Beitrags noch nicht als Präventionsallianz im eigentlichen Sinne verstehen. In diesem frühen Stadium waren es vor allem die Gewerkschaften, Berufsgenossenschaften und teilweise auch die Krankenkassen, die dem Gedanken der gesundheitlichen Prävention insbesondere durch Einrichtung von Beratungsstellen zusätzliche Akzeptanz verleihen wollten.
Initiativen von Gewerkschaften und BG
Ihre Angebote richten sich unter anderem an die betriebliche Interessenvertretung, die Führungskräfte, die Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die Sicherheitsbeauftragten, den betriebsärztlichen Dienst und die Schwerbehindertenvertretungen in den Firmen. Zu den Inhalten im Rahmen der betrieblichen Prävention gehören Grundlagen des gesetzlichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes, Informationen und Leitfäden zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen und Informationen über eine verhaltensorientierte Gesundheitsförderung. Die Kritik an diesen Dienstleistungen entzündete sich in dieser Anfangsphase vor allem an ihrer schwerpunktmäßigen Ausrichtung an Großunternehmen, während die spezifische Situation von KMU nur randständig behandelt wurde.
„Gute Arbeit” der IG Metall
Mit dem Projekt „Gute Arbeit” der IG Metall wurde von 2004 bis 2007 das Ziel verfolgt, Betriebe, Tarifparteien und Politik zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen anzuregen. Es wurden unterschiedliche Instrumente entwickelt sowie Workshops und Informationsmaterialen angeboten.
„Faire Arbeit” von ver.di
Die wenig später gegründete ver.di-Initiative „Faire Arbeit” zielte auf die Beschäftigung in Banken und Versicherungen, in denen die Arbeit zunehmend durch Steuerungsformen wie beispielsweise Zielvorgaben geprägt wurde. Hinter der ver.di-Initiative standen einzelne weitere Initiativen der Landesbezirke. In Hamburg wurde etwa ein integrativer Ansatz verfolgt, der auf eine betriebliche Zusammenarbeit von Vorständen, Betriebsräten und Gewerkschaften zielte. Gleichzeitig wurden für jede dieser Gruppen zugeschnittene Informationsmöglichkeiten angeboten. In Nordrhein-Westfalen wurde dagegen das Ziel verfolgt, Themen wie Leistungsverdichtung, Belastung und Überforderung der Finanzdienstleistungen zu enttabuisieren. Der Fokus lag auf der Interessenvertretung und den Beschäftigten und nicht wie in Hamburg auf der Erarbeitung kooperativer Lösungen zusammen mit den Geschäftsleitungen [1].

2.1 Erste Präventionsallianzen

Mit der „Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA)”, der „Initiative Gesundheit und Arbeit” sowie der „Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie” bildeten sich erstmals bundesweite Präventionsallianzen, an denen unterschiedliche Stakeholder bzw. Akteure unter einem Dach gleichwertig bei Planung und Umsetzung beteiligt waren [1] [2]. Zu einem Großteil sind diese Präventionsallianzen bis heute aktiv.
Bei der INQA engagieren sich Sozialpartner, Sozialversicherungsträger, Bund, Länder und Stiftungen. Im Rahmen dieser Initiative werden den Betrieben und Institutionen Beratungsprogramme wie „unternehmensWert: Mensch” und „INQA-Audit Zukunftsfähige Unternehmenskultur” angeboten. Weiterhin werden auf der Internetseite Praxisbeispiele von betrieblichen Präventionsmaßnahmen vorgestellt. Diese Initiative geht nicht allein auf das Gesundheitsthema ein, sondern auch auf Personalführung, Chancengleichheit, Diversität sowie Wissen und Kompetenz.
Überblick Initiativen
Speziell für den Mittelstand bildete die INQA das Netzwerk „Offensive Mittelstand”. Durch die Netzwerkarbeit sollen strategische Vorteile genutzt werden, um insbesondere kleine Betriebe mit bis zu 25 Beschäftigten zu erreichen.
„Offensive Mittelstand”
Im Zentrum der Netzwerkarbeit stehen drei Maßnahmen: Verdeutlichen von Gemeinsamkeiten (Entwicklung von Praxisstandards), Aufbau von Vertrauen durch ein besseres Kennenlernen sowie Kooperationen vor Ort. Das Netzwerk bearbeitet unterschiedliche Themenbereiche wie Handwerk, Mittelstand 4.0 oder Gesundheitsmanagement im Rahmen von Arbeits- und Fachgruppen. Das Ziel ist es, den mittelständischen Unternehmen Wege zu zeigen, wie sie es trotz vergleichsweiser geringer Ressourcen schaffen, genügend Zeit und Personal zur Umsetzung von effektiven gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen in ihren Betrieben zu finden.
„Initiative Gesundheit und Arbeit”
Bei der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) wiederum kooperieren der BKK-Dachverband, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung und der Verband der Ersatzkassen. Die Themenschwerpunkte der Initiative liegen auf Präventionszielen, auf der Arbeit im Wandel, auf der Gestaltung gesunder Arbeit und auf der Wirksamkeit von Prävention. Darüber hinaus strebt die IGA eine Vernetzung und einen Informationsaustausch von Wirtschaft, Politik, Sozialpartnern, den Selbstverwaltungen von Krankenkassen und Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung sowie der Wissenschaft und Praxis an [2].
Projekt „Gesund. Stark. Erfolgreich”
Das Projekt „Gesund. Stark. Erfolgreich. Der Gesundheitsplan für Ihren Betrieb” wurde 2014 initiiert, um Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung in Deutschland, insbesondere in KMU, weiter zu verbreiten. Zunächst von 14 Betriebskrankenkassen unter der Federführung des BKK-Dachverbandes entwickelt und erprobt, wurde das Projekt 2015 und 2016 unter Beteiligung der IKK und des Instituts für Betriebliche Gesundheitsförderung BGF GmbH der AOK Rheinland/Hamburg fortgesetzt. Im Rahmen der Pilotphase wurden Impulsveranstaltungen durchgeführt, in denen KMU Informationen rund um das Thema Gesundheit erhielten. Anhand von Beispielen guter Praxis wurde ein Einblick gegeben, wie Betriebliches Gesundheitsmanagement und Betriebliche Gesundheitsförderung umgesetzt werden können. Für Betriebe, die sich für das Thema interessierten, aber noch keine konkrete Vorstellung von der individuellen Umsetzung hatten, wurde im Projekt ein Konzept zur Erstberatung entwickelt. Im persönlichen Gespräch vor Ort erhielten Betriebe einen „Gesundheitsplan” mit Maßnahmen, die auf ihr spezifisches Unternehmen zugeschnitten waren. Heute haben KMU im Rahmen des Projekts die Möglichkeit, eine kostenlose Erstberatung über die BGF-Koordinierungsstelle in Anspruch zu nehmen.
Initiative „Der gemeinsame Gesundheitsplan”
Zurzeit schließen sich dem Projekt „Der gemeinsame Gesundheitsplan” andere überbetriebliche Gesundheitsnetzwerke an. Geplant ist der Aufbau eines dauerhaften träger- und kassenübergreifenden Gesundheitsnetzwerks für Betriebe mit regionalen Partnern, um mit einer gemeinsamen Strategie die Verbreitung und Implementierung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements in KMU zu fördern.

3 Präventionsallianzen im Handwerk

Im Deutschland gibt es rund eine Million Handwerksbetriebe mit 5,8 Mio. Beschäftigten, das sind rund 13 Prozent aller Beschäftigten. Die Digitalisierung im Handwerk ist bei Weitem nicht so ausgeprägt wie in anderen, vor allem industriellen Betrieben. Dennoch schreitet sie schnell voran, vor allem in größeren, umsatzstärkeren sowie industrienahen Handwerksbetrieben. Kleine Betriebe mit lokalen Stammkunden dagegen haben oft noch nicht einmal eine eigene Firmenwebseite [3].
Digitale Transformation
Durch den Einsatz digitaler Technologien wie 3D-Drucker, Assistenzsysteme oder rechnergestützte Numerischer Kontrollsysteme verändern sich handwerkliche Fertigungs- und Produktionsprozesse, und dadurch erweitern sich die Aufgaben- und Arbeitsbereiche von Handwerkern teilweise beträchtlich. Die Anforderungen an die Beschäftigten, sich zusätzlich zu ihren handwerksspezifischen Kompetenzen auch noch IT-Kenntnisse anzueignen, und der Druck, sich kontinuierlich an neue technologische Entwicklungen anzupassen, birgt gesundheitliche Risiken, vor allem psychische Belastungen [3].
Digitaler Stress
Dieser „digitale Stress” kann gesundheitsgefährdend wirken, wenn Dauer und Intensität sowie Häufigkeit und Komplexität der Beanspruchung hoch sind. Mit steigendem Digitalisierungsgrad im Handwerk ist also auch damit zu rechnen, dass die Risiken des digitalen Stresses weiterwachsen. Großer digitaler Stress geht darüber hinaus bei vielen Menschen auch mit einem starken Konflikt zwischen Arbeits- und Privatleben einher, die sogenannte Work-Life-Balance wird bei ihnen empfindlich gestört [3].
Das Handwerk steht angesichts der Digitalisierung und der im ersten Abschnitt erwähnten anderen Entwicklungen vor folgenden Herausforderungen in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsschutz und Gesundheit [3]:
Integration von Gesundheit und Digitalisierung
Inhaber und Beschäftigte vieler kleiner Betriebe müssen von den wirtschaftlichen Vorteilen der Digitalisierung überzeugt werden. Es müssen teilweise sogar Ängste vor der Herausforderung Digitalisierung abgebaut werden.
Das Handwerk muss qualifizierte Fachkräfte gewinnen und binden. Ein wichtiger Punkt ist, die Attraktivität des Betriebs durch eine gesundheitsorientierte Unternehmensführung und Angebote zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit zu steigern.
Die Digitalisierung sollte von den Betrieben auch für die Gesunderhaltung genutzt werden. Eine Digitalisierung der Arbeits- und Geschäftsprozesse sollte daher die Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes unterstützen und idealerweise an sie gekoppelt werden (s. Abschn. 3.2).
Den durch „digitalen Stress” erzeugten gesundheitlichen und psychischen Risiken sollte durch entsprechende Maßnahmen entgegengewirkt werden. Wie man Risiken erkennt und zielgenaue Schutzmaßnahmen plant und umsetzt, muss den Geschäftsleitungen und Inhabern/Inhaberinnen der Betriebe aber gezeigt werden. Dies kann im Rahmen von Schulungen, Workshops, Therapiesitzungen oder Coachings geschehen (siehe Projekt „e-RegioWerk” unten).
Da die Handwerksbetriebe meist über keine eigene Personalabteilung, Personal- und Organisationsentwicklung und oft auch nicht über ein Betriebliches Gesundheitsmanagement verfügen, können auch im Kontext des Handwerks Präventionsallianzen von KMU mit ressourcenstarken Partnern wie Kreishandwerkerschaften, Handwerkskammern, Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften eine sinnvolle Lösung sein. Drei Beispiele für bereits umgesetzte Allianzen, davon zwei mit ausgesprochenem Bezug zur Digitalisierung, werden im Folgenden vorgestellt.

3.1 Handwerksbezogene Gesundheitsförderung

Bereits Anfang der 1990er-Jahre führten Innungskrankenkassen ein Modellprojekt unter dem Titel „Handwerksbezogene Gesundheitsförderung – Entwicklung eines Praxismodells” durch [3]. Es sollte die kooperative Durchführung von Maßnahmen im Handwerk untersucht werden. Zentrale Partner waren auf lokaler Ebene die Berufsgenossenschaften und deren arbeitsmedizinischer Dienst, die Kfz-Innung sowie der Gewerbeverband auf der Arbeitgeberseite und der Gesellenausschuss und die IG Metall auf der Arbeitnehmerseite.
Mobile Arbeitsplatzberatung
Die wichtigste Maßnahme, die im Rahmen des Projekts entwickelt wurde, war eine mobile Arbeitsplatzberatung in Hinsicht auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Das Team der mobilen Arbeitsplatzberatung bestand aus einem technischen und einem arbeitsmedizinischen Mitarbeiter der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft sowie dem zuständigen Mitarbeiter der IKK Düsseldorf. Aus Sicht der Innungskrankenkassen wurde der Kooperationsversuch als erfolgreich eingestuft. Das Interesse der IG Metall lag bei diesem Projekt in einer Sensibilisierung des bisher im Handwerk vernachlässigten Gesundheitsthemas. Die Berufsgenossen wiederum sahen in dem Projekt die Gelegenheit, eine intensivere Zusammenarbeit mit den Krankenkassen zu erproben.

3.2 Digital unterstützter Arbeitsschutz im Ausbauhandwerk

Bei DigiGAAB (Digital unterstützter Gesundheits- und Arbeitsschutz im Arbeitsprozess Bau) handelt es sich um ein mittlerweile beendetes Projekt der Initiative Qualität der Arbeit (INQA), das sich explizit an Stuckateurunternehmen richtete [4].
Präventionsallianz für Bauhandwerk
Das Projekt entwickelte vor allem virtuelle Lösungen, die KMU nutzen können, um Arbeitsschutzprozesse effektiv in alle Geschäfts- und Arbeitsprozesse des Bauhandwerks zu integrieren.
Strategiekonzept „Vorausschauende Regionalisierung”
Mit DigiGAAB sollte ein Strategiekonzept umgesetzt werden, das die Initiatoren als „Vorausschauende Regionalisierung” bezeichneten. Das Ziel sollte demnach sein, einen Beitrag dazu zu liefern, wie mithilfe neuester digitaler Technologien Aufträge und Wertschöpfung im Handwerk in der Region gehalten werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, wollte das Projekt die regionalen Handwerksbetriebe bei der dringend erforderlichen Digitalisierung ihrer Arbeits- und Geschäftsprozesse unterstützen – auch in Hinsicht auf eine substanzielle Verbesserung des Arbeitsschutzes durch die Berücksichtigung dieses Themas bei allen Geschäftsprozessen.
„Denken in Prozessen”
Um diese Ziele zu erreichen, sollte zunächst die Fähigkeit des „Denkens in Prozessen” in den Betrieben verbessert werden. Dazu wurden die teilnehmenden Unternehmen mit folgenden Leitfragen konfrontiert:
Wie kann das Bauhandwerk – und insbesondere das Stuckateurhandwerk – den durch die Digitalisierung ausgelösten Wandel so gestalten, dass die Vorteile und Chancen überwiegen?
Wie kann man die Arbeitsprozesse im Unternehmen steuern und optimieren?
Wie kann man alle Prozesse im Unternehmen digital abbilden?
Wie kann der Betrieb das Wissen der Mitarbeiter und anderer Unternehmen nutzbar machen?
Wie kann der Arbeitsschutz in jedem der digitalisierten Arbeits- und Geschäftsprozesse bestmöglich berücksichtigt und ebenfalls digital abgebildet werden?
Digitale Planung von Arbeitsschutzmaßnahmen
Den an das Netzwerk angeschlossenen 13 Betrieben wurde daher eine im Rahmen des Projekts speziell entwickelte App („GefährdungsApp”) zur Verfügung gestellt, die die Arbeitsschutzanforderungen auf der Baustelle abbildet und den Nutzern damit qualitätsbewussteres Arbeiten ermöglicht, auch bei der Sicherheits- und Gefahrenschutzplanung.
GefährdungsApp
Die „GefährdungsApp” dient zur digitalen Simulation und Prozessmodellierung von Bauprojekten und den dazugehörigen Arbeits- und Arbeitsschutzprozessen. Bei der Prozessmodellierung von zukünftigen Bauprojekten werden zunächst sämtliche Kern-, Teil- und Unterstützungsprozesse des geplanten Bauprojekts in eine Prozessdatenbank aufgenommen und mit den jeweils relevanten Maßnahmen des Arbeitsschutzes verknüpft. Diese lassen sich dann mittels eines Building-Information-Modeling-Verfahrens (BIM) virtuell abbilden. Die BIM-Methode erfasst alle baurelevanten Daten auf einer Plattform, verknüpft sie und erstellt dann ein digitales Modell des Bauprojekts.
Mithilfe der Prozessmodellierung werden Beteiligte, Aktivitäten und Entscheidungen in den Prozessen grafisch eindeutig abgebildet, sodass klar ist, wer was wann macht. Sämtliche Kern-, Teil- und Unterstützungsprozesse eines typischen Stuckateurbetriebs wurden in eine Prozessdatenbank aufgenommen und mit den jeweils relevanten „Wissensbausteinen” des Arbeitsschutzes verknüpft.
Das virtuelle Baumodell bietet einem Stuckateurbetrieb somit große Vorteile: Er kann das fertige Bauprojekt bereits in frühen Planungsphasen virtuell begehen, Kollisionsprüfungen durchführen und alle für den Arbeitsschutz relevanten Faktoren, etwa die Absturzgefährdung oder die Lärm- und Staubentwicklung, genau einschätzen. Mittels maschinenlesbarer Prüfregeln kann der Betrieb darüber hinaus noch vor Baubeginn automatisierte Gefährdungsbeurteilungen für jede einzelne Baumaßnahme verfassen.
Arbeitsschutzplattform
Die zweite digitale Lösung bildete die Arbeitsschutzplattform GDA-ORGAcheck, die die BG BAU als Projektpartner gemeinsam mit einem Start-up entwickelte. Mit ihrer Hilfe lassen sich alle 15 Elemente des GDA-ORGAcheck mobil und stationär managen. Die Betriebe können die Organisation ihres betrieblichen Arbeitsschutzes selbst bewerten, Schwachstellen in der Arbeitsschutzorganisation gezielt erkennen und notwendige Verbesserungsmaßnahmen einleiten. Die digitale Arbeitsschutzplattform kombiniert eine stationäre PC-Anwendung mit einer mobilen App für Android- und iOS-Geräte. Die Planung von Bauprojekten, rechtssichere Dokumentationen zum Arbeitsschutz, Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen, Prüfprotokolle, Last-Minute-Risikoabfragen für kurzfristige Änderungen vor Ort oder Kurzunterweisungen können so innerhalb kurzer Zeit erstellt werden.
Experimentierräume
Ein Novum im Rahmen dieses Projekts waren die sogenannten „Experimentierräume” (siehe Infokasten). In ihnen können die Handwerksbetriebe verschiedene digitale Lösungen – auch über das Projektende hinaus – kennenlernen und selbst ausprobieren.
DigiGAAB: „Experimentierräume” für die Arbeit der Zukunft
Das Projekt DigiGAAB stellt den teilnehmenden und interessierten Handwerksbetrieben eine besondere Innovation zur Verfügung: die Experimentierräume. In einem dieser Experimentierräume wurde eine Systemlandschaft für das Ausbauhandwerk entwickelt. In dem anderen Experimentierraum konnten – und können weiterhin auch nach Projektende – neue digitale Anwendungen für den Einsatz auf der Baustelle ausprobiert und getestet werden („Training on the Job”). Neben den oben vorgestellten Lösungen, die durch das Projekt selbst entwickelt wurden, können die Betriebe im Experimentierraum auch andere digitale Technologien erproben, die für die Projektumsetzung im modernen Bauhandwerk immer wichtiger werden. So gab es Experimentierraum-Seminare zu den Themen „Smartphone” und „Virtual-Reality-Brillen” mit folgenden Schwerpunkten:
Seminar Smartphone:
Wie bedient man „Tablet” und „Smartphone” sicher?
Wie sichert man die Kundendaten?
Welche Kundendaten darf man über welche Plattformen versenden und über welche nicht?
Wie sorgt man für Updates und Upgrades?
Seminar Virtual-Reality-Brillen:
Hilft auf der Baustelle eine Brille mit „Virtueller Realität” (VR) oder eher eine Brille mit „Angereicherter Realität” (AR)?
Worin liegt der Unterschied?
Welche Lösung passt zu welcher Herausforderung?
Bei den Seminaren und den Trainings stehen stets folgende drei Faktoren im Vordergrund: Wie lernen die Beschäftigten im Handwerk, und wie wird das Lernverhalten verbessert? Wie müssen KMU organisiert sein, damit sie das „neue Lernen” am Arbeitsplatz optimal fördern? Und wie müssen unterstützende digitale Systeme gestaltet sein, damit sie sowohl die Bedürfnisse der Belegschaft als auch die fachlichen Anforderungen erfüllen?
Der Experimentierraum befindet sich im Branchenzentrum Ausbau und Fassade im baden-württembergischen Rutesheim bei Böblingen und unterstützt nach wie vor bei der Aus- und Weiterbildung im Handwerk.

3.3 Prävention psychischer Belastung

Das Projekt „e-RegioWerk” wurde als zeitlich befristetes Kooperationsprojekt zwischen 2018 und 2022 durchgeführt. Allianzteilnehmer bzw. Netzwerkpartner waren die Kreishandwerkerschaften Freiburg, Köln, Ortenau und Rhein-Erft, IKK classic als Präventionsanbieter, die Akademie Zukunft Handwerk als Weiterbildungsanbieter sowie die Universität Hamburg und die Fachhochschule Lübeck als wissenschaftliche Begleiter [5]. Schwerpunkt war die Bewältigung von Stress, Burnout und anderen psychischen Belastungen.
Coachings Stressbewältigung
Zu den Dienstleistungen gehören Online- und Präsenzcoachings zur Verbesserung der Work-Life-Balance und Erholung, Seminare und Workshops zur Teamentwicklung sowie ein Onlineanalyseinstrument zur Dokumentation von Gefährdungsbeurteilungen zur psychischen Belastung von Beschäftigten. Zielgruppen waren alle Beschäftigten eines Unternehmens, wobei es spezielle Angebote für Inhaber gab.
Trainings für Teambuilding
Die Angebote zur Prozess- und Teamentwicklung bestanden aus verhältnis- und verhaltenspräventiven Maßnahmen und gliederten sich in fünf Teile: ein Onlineanalysewerkzeug zur Feststellung des Handlungsbedarfs, ein Auswertungsgespräch mit dem Firmeninhaber, drei Sitzungen mit allen Beschäftigten und der Inhaberfamilie, einen Onlinekurs für den Betriebsinhaber und ein Abschlussgespräch mit dem gesamten Team. In diesem Abschlussgespräch wurden Verbesserungsvorschläge erarbeitet und konkrete Handlungspläne erstellt.
Burnout-Prävention
Das Gesundheitscoaching für die Inhaber und ihre Lebenspartner (Blended Paarcoaching, siehe Infolasten unten) diente der Förderung von Erholung und der Burnout-Prävention. Das Coaching bestand aus fünf Sitzungen in Form von Präsenz- und videogestützten Telesitzungen. Dazu gehörten drei Onlinekurse, die der Vorbereitung der Sitzungen dienten. Im Coaching arbeiteten die Inhaber mit ihren Lebenspartnern an individuellen Gesundheitszielen. Die besondere Konstellation des Paarcoachings sollte die Akzeptanz und Unterstützung des Partners bei der Umsetzung der Veränderungsprozesse sichern.
Blended Paarcoaching und die Gestaltung der Work-Life-Balance
Die im Rahmen der Arbeit von e-RegioWerk durchgeführten Coachings für Betriebsinhaber und ihre Partner, das sogenannte „Blended Paarcoaching für Inhaberpaare”, bildete teilweise auch die Datengrundlage für diverse, mittlerweile publizierte Studien der am Projekt beteiligten wissenschaftlichen Institute [5]. Zwei dieser Studien, die sich mit der Gestaltung der Work-Life-Balance im Rahmen von Blended Paarcoachings (Kombination von Vor-Ort-Gesprächen und Onlineverfahren) befassten, werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Interviewstudie: Wie gestalten erfahrene Inhaberpaare von kleinen Familienunternehmen ihre Work-Life-Balance? Paare, die gemeinsam in ihrem Betrieb arbeiten, weisen stark vermengte Lebensbereiche auf und haben oft Schwierigkeiten, sich zu erholen, während sie ihre großen betrieblichen Anforderungen bewältigen. Die Ergebnisse der Interviewstudie weisen darauf hin, dass die generelle Trennung der Lebensbereiche (Arbeit, Familie und Freizeit) im Alltag kaum möglich sei. Viele Paare berichteten in den Interviews, dass sie sich innerhalb ihrer Lebensbereiche Strukturen schaffen, die es ihnen ermöglichen, ihre verschiedenen (Lebens-)Ziele zu vereinbaren. Innerhalb des Betriebs etablieren sie kleine abgetrennte Bereiche zum fokussierten Arbeiten (z. B. indem die Anrufe umgeleitet werden oder Zeiten der Erreichbarkeit kommuniziert werden). Privat werden kleine „Erholungsinseln” gestaltet, die dazu dienen, regelmäßig einer (gemeinsamen) Freizeitaktivität nachzugehen. Auf der Basis der geführten Interviews zeigt sich, dass die Haltung zur eigenen Gesundheit und wie hoch diese auf der Prioritätenliste angesiedelt ist, wesentlich dafür ist, überhaupt in den „Macher-Modus” zur ausgeglichenen Gestaltung von beruflichen und privaten Zielen im Alltag zu kommen. Partner und Partnerinnen können und sollten sich gegenseitig bei der Gestaltung, Umsetzung und Aufrechterhaltung unterstützen oder sogar gemeinsame Strategien ausprobieren. [5]
Wirksamkeitsstudie von Blended Paarcoachings: Kleinunternehmer arbeiten häufig mit ihren Lebenspartnern zusammen im Betrieb. Sie erleben eine extreme Vermengung ihres Arbeits- und Privatlebens und haben häufig Probleme, von ihrer Arbeit abzuschalten. Dies ist jedoch für ihre Zufriedenheit mit der Work-Life-Balance entscheidend. Die Forscher untersuchten mit dieser Zielgruppe ein Coaching zur Förderung des Abschaltens von der Arbeit und Work-Life-Balance (WLB). Sie setzten einen Fokus auf das Coachverhalten hinsichtlich Interventionstreue und Empathie. Dazu wählten sie ein Blended-Coaching-Format, d. h., sie kombinierten Face-to-Face- mit Tele-Sitzungen und Onlinekursen, um die Digitalisierung für mehr Flexibilität und Unterstützung zwischen den Sitzungen zu nutzen.
Die Forscher beobachteten das Coachverhalten in Bezug auf die Interventionstreue und teilten darauf basierend die Klienten (N = 42) im Sinne des „Adapted Designs” in zwei Interventionsgruppen auf. Sie beobachteten zudem die Empathie der Coaches. Mittels Fragebogen erfassten sie die Veränderungsmechanismen des Coachingkonzepts und Ergebnisse aus Sicht der Klienten bis zu vier Monate nach Beendigung des Coachings. Aufgrund des Blended-Formats untersuchten sie zudem den Einfluss der Technikaffinität (ATI) der Klienten auf den Coachingerfolg.
Zweifaktorielle Varianzanalysen mit Messwiederholungen bis zu vier Monate nach Ende des Coachings zeigten große Effekte für Abschalten von der Arbeit (p = .002) und mittlere Effekte für eine zufriedenere WLB (p = .042) ohne Interaktionseffekte. Nur in der Interventionsgruppe mit großer Interventionstreue sagten die angenommenen Veränderungsmechanismen und der ATI (p = .000 bis p = .036) die Wirksamkeit vier Monate nach Beendigung des Coachings voraus. Die Empathie der Coaches bestätigte sich als Prädiktor für die Zielerreichung in der Gruppe mit großer Interventionstreue (p = .004).
Das Ergebnis: Das Paarcoaching war unabhängig von der Interventionstreue der Coaches hochwirksam. Die angenommenen Veränderungsmechanismen des Coachings und der ATI zeigten ausschließlich bei einer großen Interventionstreue Wirkung. Die Wissenschaftler raten daher Coaches, sich der konzeptionellen Grundlagen und der Kernkomponenten ihres Coachingansatzes bewusst zu sein [5].

4 Fazit und Ausblick

Arbeitssicherheit und Gesundheit kommt in der heutigen Arbeitswelt und vor allem in den KMU des Handwerks eine große Bedeutung zu, um negative Folgen der schon immer schweren körperlichen und stetig zunehmenden psychischen Belastungen geprägten Arbeitswelt zu reduzieren, persönliche, technische wie auch organisatorische Ressourcen zu stärken und damit die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten oder sogar zu verbessern.
Positive Strukturen für Prävention
Das Thema Gesundheit hat in nicht wenigen Fällen eine große Relevanz in den kleinen Unternehmen, auch wenn gesundheitsorientierte Prozesse und Strukturen im eigentlichen Sinne oft nur ansatzweise oder gar nicht vorhanden sind. Aufgrund der überschaubaren, familiären Mitarbeiterstruktur haben die Unternehmer oft enge persönliche Beziehungen zu den Angestellten, was in vielen Fällen auch ein großes Maß an sozialer Unterstützung und Anteilnahme mit sich bringt. Im Gegensatz zu großen Unternehmen gibt es in KMU kurze Entscheidungswege, eine direkte Kommunikation zwischen Unternehmensleitung und Angestellten sowie in vielen Fällen auch flache Hierarchien. Die Mitarbeitenden haben daher die Möglichkeit, Gesundheitsthemen schneller zur Diskussion zu bringen und sich an Entscheidungen über gesundheitsbezogene Maßnahmen unmittelbarer beteiligen [6].
Partizipation der Beschäftigten einfacher
Zudem kann der Unternehmer bzw. die Unternehmerin durch sicherheits- und gesundheitsorientiertes Verhalten ganz unmittelbar eine Vorbildfunktion übernehmen, wie es in dieser Form in größeren Unternehmen nicht möglich wäre.
Begrenzte Ressourcen ausschlaggebend
Trotz dieser günstigen Faktoren ist die Umsetzung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements und aller relevanten Arbeitsschutzmaßnahmen in KMU immer noch ein Problem. Das liegt in erster Linie an den sehr begrenzten materiellen, finanziellen und personellen Ressourcen, in zweiter Linie (und damit zusammenhängend) an den Befürchtungen vieler Unternehmensleitungen, dass sich Planung und Umsetzung von Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen negativ auf die Finanz- und Geschäftslage des Betriebs auswirken. Um Unternehmen in Hinsicht auf diese beiden Aspekte zu helfen bzw. Befürchtungen zu zerstreuen, sind Präventionsallianzen ein sinnvolles Instrument. Dies gilt vor allem für das Handwerk, speziell das Bauhandwerk.
Allianzen für Bauhandwerk
Denn dort prägen nach wie vor große körperliche Belastungen den Arbeitsalltag der Beschäftigten, einhergehend mit einer überdurchschnittlich hohen Unfall- und Verletzungsquote. Dies zwingt dazu, Maßnahmen zum Arbeitsschutz und zur Gesunderhaltung der Belegschaften in kurzer Frist zu planen und umzusetzen. Daher müssten noch viel mehr Präventionsallianzen für diese spezifische Zielgruppe entstehen. Die Betriebe sind für diese Partnerschaften aber nur zu gewinnen, wenn man sie überzeugen kann, dass Wettbewerbsfähigkeit und Anpassung an den technologischen Wandel einen profitablen Mehrwert haben. Insbesondere die Digitalisierung steht nicht im Widerspruch zu einem effektiven Arbeits- und Gesundheitsschutz. Vielmehr bedingen sie sich gegenseitig [6].

Quellen

1
von Garell, Jörg, Thomas, Simone; Präventionsallianzen in einer digitalisierten Industrie, S. 425–46, in: Pfannstiel, Mario, Da-Cruz, Patrick, Mehlich, Harald (Hrsg.); Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen VI. Impulse für die Forschung, Springer Gabler 2019.
2
Ahrens, Daniela, Spöttl, Georg; Industrie 4.0 und Herausforderungen für die Qualifizierung von Fachkräften, S. 175–94, in: Hirsch-Kreinsen, Hartmut, Ittermann, Peter, Niehaus, Johann (Hrsg.); Digitalisierung industrieller Arbeit. Die Vision Industrie 4.0 und ihre sozialen Herausforderungen, 2. Aufl., Nomos 2018.
3
Heil, Michael, Schröder, Delia, Digitalisierung im Handwerk, in: Bamberg, Eva, Ducki, Antje, Janneck, Monnique (Hrsg.); Digitale Arbeit gestalten., Springer Gabler 2022.
5
eRegionWerk ; Abrufe am 10.12.2022 und 24.01.2023.
6
Butscher, Hanna, Kern, Axel Olaf; Betriebliches Gesundheitsmanagement in Klein- und Kleinstunternehmen. Das Beispiel des Baugewerbes, Center for Health and Social Policy at Weingarten University 2017.
 

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