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05155 Frauenspezifische Aspekte im Arbeits- und Gesundheitsschutz

Im Arbeits- und Gesundheitsschutz gibt es eine große Datenlücke, die sich nachteilig auf die Gesundheit und Sicherheit von Frauen in der Arbeitswelt auswirkt. Dabei geht es nicht nur um die Erfassung körperlicher Unterschiede, sondern auch um unterschiedliche Auswirkungen von körperlichen und psychischen Belastungen auf Männer und Frauen, die gesellschaftliche Wahrnehmung und Anerkennung von Belastungen und die Verteilung der zur Verfügung gestellten Ressourcen zum Schutz der Gesundheit.
Gendermainstreaming, d. h. die Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensrealitäten von Männern und Frauen, kann auch im Arbeits- und Gesundheitsschutz die Rahmenbedingungen verbessern.
Arbeitshilfen:
von:

1 Einleitung

Fehlende Daten über Frauen
Die Situation von Frauen ist – gerade im Kontext des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – noch unzureichend aufgearbeitet. In ihrem Buch Unsichtbare Frauen (2020) hat Caroline Criado-Perez das Fehlen umfassender geschlechtsspezifischer Daten und die daraus resultierenden Konsequenzen eindrücklich dargestellt. In vielen alltäglichen Kontexten herrschen noch immer männliche Normen vor. Es ist kein Zufall, wenn Frauen aufgrund von Temperaturnormen in Büros frieren oder Sicherheitsvorrichtungen in Autos nicht auf weibliche Körpermaße ausgerichtet sind. Dies betrifft auch scheinbar geschlechtsneutrale Produkte wie Klaviere oder Mobiltelefone, die an die Handspannweite von Männern angepasst werden, und die deutlich größer ist als die durchschnittliche Handspannweite von Frauen [1].
Genderperspektive in der Forschung und Entwicklung
Weitreichende und langwährende Konsequenzen entstehen durch die Datenlücke in der klinischen Forschung. Bei der Heilung von Krankheiten und der Entwicklung von Medikamenten ist die Genderperspektive noch immer wenig berücksichtigt. Während es gute Gründe gibt, vulnerable Gruppen wie werdende Mütter aus risikoreicher Forschung auszuschließen, darf dies nicht dazu führen, dass es zur Wirkung und Verträglichkeit von Heilmitteln auf Frauen weniger Daten gibt [2].
Es gibt zwar spezifische Vorkehrungen zur Berücksichtigung von Genderaspekten in der klinischen Forschung, die COVID-19-Pandemie hat allerdings die Schwächen in der Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Forschung und Gesundheitspolitik gezeigt [3]. Es ist nicht nur für die individuelle Frau entscheidend, dass es ausreichend Erkenntnisse für die Entwicklung von Produkten gibt und umfassende Forschung stattfindet. Letztlich werden ökonomische und politische Entscheidungen auf der Grundlage von Daten und Forschungsergebnissen getroffen. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich algorithmische Systeme bei der Personalauswahl oder Diagnosestellung von Krankheiten immer mehr etablieren, ist eine umfassende – geschlechtsspezifische – Datenbasis eine unverzichtbare Grundlage fundierter Gesundheits- und Sozialpolitik. Algorithmen und künstliche Intelligenz lernen anhand von Daten und übernehmen auch Vorurteile und Ungleichheiten. Um einer Fortschreibung von Diskriminierung entgegenzutreten, ist es wichtig, dass Frauen ausreichend Berücksichtigung in den zugrunde liegenden Daten finden [4].
Der Bereich des betrieblichen ArbeitnehmerInnen- und Gesundheitsschutzes ist traditionell stärker an Männern und männlich dominierten Arbeitsplätzen ausgerichtet. Demgegenüber werden frauenspezifische Gefährdungen und Belastungen nur wenig thematisiert oder in der betrieblichen Praxis übersehen [5].
Abb. 1: Mangelnde Prävention bei Frauenarbeit kann in einen Teufelskreis führen [5].
Vorurteile bei der Einschätzung von Belastungen
Während man einem Arbeiter in der Industrie ohne zu zögern eine körperlich belastende Tätigkeit zuschreibt, wirken weiblich dominierte Tätigkeiten wie das händische Verpacken von kleinen Waren oder das Zusammenstecken kleiner Bauteile, auf den ersten Blick wenig belastend. Isoliert betrachtet, handelt es sich um risikoarme Bewegungsabläufe – auf Dauer sind sie allerdings gesundheitsschädlich [6].
Weitere Beispiele für wenig beachtete Belastungen finden sich in der Elementarpädagogik. Dort ist Lärm ein großer Belastungsfaktor, der das Arbeiten und Lernen nachhaltig stören kann. Zahlreiche Studien verdeutlichen die negativen Auswirkungen von Lärm auf PädagogInnen und Kinder: Die Kommunikation wird beeinträchtigt, Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Leistungsfähigkeit werden beeinflusst und Stresserleben wird begünstigt. Lärm kann auch zu einem Anstieg der Zahl an Unfällen und einer dauerhaften Minderung des Hörvermögens führen [7]. Die Arbeit mit Kindern verlangt von den ElementarpädagogInnen auch immer wieder, dass sie ungünstige Körperhaltungen einnehmen und Kinder heben und tragen. Dies kann insbesondere für die Wirbelsäule belastend sein. Auch in den frauendominierten Bereichen der Pflege, des Lebensmittelhandels oder der Reinigung gibt es zahlreiche körperliche Herausforderungen. Diese sind nicht nur auf das Heben von Lasten beschränkt, sondern Arbeit findet beispielsweise lange im Stehen oder mit einseitigen Bewegungen statt. Während im handwerklichen Bereich und in der Produktion Gesundheitsrisiken und Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz umfassend bekannt sind, ist der Dienstleistungsbereich – in dem viele Frauen arbeiten – wenig untersucht.
Erfassung körperlicher und psychischer Belastungen
Der zweite blinde Fleck betrifft große psychische Belastungen, die in frauentypischen Berufen bei personennahen Dienstleistungen und anderen Tätigkeiten mit Menschen noch immer in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und bei der Bewertung der Arbeit verkannt werden. Dazu zählen Stressbelastungen, die sehr hoch sind, etwa weil es sich in der Reinigung um monoton-repetitive und stark vorgegebene Arbeitsabläufe handelt und geteilte Dienste noch immer die Regel sind oder weil in der Pflege qualifiziertes Personal fehlt. Aber auch Emotionsarbeit, die in vielen Dienstleistungsbereichen notwendig ist, kann psychisch äußerst herausfordernd sein. Denn wenn Freundlichkeit und Geduld durchgehend erwartet werden, müssen zwangsläufig Emotionen wie Angst, Ärger oder Wut unterdrückt werden. Bei Frauen trifft die Anforderung der Emotionsarbeit auf die noch immer stark verbreiteten Stereotype von „freundlichen” versus „schwierigen” Frauen. Die Unterdrückung von negativen Emotionen kann jedoch langfristig die Gesundheit schädigen, etwa weil Kopfschmerzen, Magenschmerzen oder Schlaflosigkeit chronisch auftreten [8].

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