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05011 Individualisierung, Selbstmanagement und Mobilität

Gesundheit in der Arbeitswelt 4.0 lernen, fördern und gestalten

Die moderne digitalisierte und globalisierte Arbeitswelt, in der Literatur und in den Medien oft Arbeitswelt 4.0 genannt, ist für viele Beschäftigte zunehmend geprägt durch flexiblere Arbeitsformen, Eigenverantwortung und Selbstorganisation. Nicht nur Selbstständige, sondern auch immer mehr Arbeitsnehmer müssen eine aktivere Rolle bei der Gestaltung sowohl ihrer Arbeit als auch ihrer Arbeitsbedingungen übernehmen. Dies betrifft die Strukturierung ihrer gesamten Arbeit, von der Arbeitszeit über den Arbeitsort bis hin zu Arbeitsaufgaben, aber auch die Planung der Freizeit und die Förderung der eigenen Gesundheit. Die Verbreitung selbstständiger und individualisierter Arbeitsformen stellt aber nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Unternehmen vor große Herausforderungen.
In einem einführenden Kapitel wird zunächst die auch aus rechtlicher Perspektive ambivalente Situation der Arbeitnehmer in der neuen Arbeitswelt kompakt dargestellt. Das Arbeitsschutzrecht muss der neuen Situation vieler Beschäftigter vermutlich früher oder später Rechnung tragen. Eine Anpassung der Rechtslage an die berufliche Realität der „Arbeitskraft 4.0” ist in jedem Fall dringend erforderlich, birgt für diese aber auch mögliche Risiken – zum Beispiel mehr Eigenverantwortung beim Arbeitsschutz.
Auch Unternehmen und Organisationen müssen Arbeit und Gesundheit neu denken und strukturieren, wollen sie in der neuen Arbeitswelt weiter erfolgreich sein. Diese „neue Widerstandsfähigkeit” von Individuen und Unternehmen wird in der Literatur oft mit dem Begriff der „Resilienz” umschrieben. Das Konzept der Resilienz wird daher im ersten Kapitel kurz dargestellt.
Ausgehend davon wird in einem weiteren Schritt gefragt, wie Resilienz zu erreichen ist: Wie lassen sich die Vorteile der neuen Arbeitsformen – Autonomie, Selbstmanagement und dadurch auch mehr Selbstbestimmung über Ort und Zeit der Arbeit – mit den Vorteilen des betrieblichen Gesundheitsmanagements, dessen Maßnahmen bislang vorrangig vor Ort im Unternehmen umgesetzt werden, in Einklang bringen? Sowohl für die Beschäftigten als auch für Unternehmen gilt es daher, neue Wege zu beschreiten, um Kompetenzen für die selbstständige Gestaltung gesundheitsfördernder Maßnahmen zu entwickeln. Es werden zwei Fallbeispiele vorgestellt.
von:

1 Einleitung und Grundlagen

Mehr Autonomie und Selbstverantwortung
Die Arbeitswelt befindet sich in einem fundamentalen Wandel, der neue Formen von Arbeit und Beschäftigung hervorbringt [1]. Eine besondere Entwicklung stellt die immer weitere Verbreitung von individualisierten und räumlich, inhaltlich und zeitlich flexiblen Arbeitsformen dar – so zum Beispiel in Form von Telearbeit, mobiler Arbeit und (zumeist virtueller) Projektarbeit. Dies betrifft insbesondere die Tätigkeiten, die mit höheren oder hohen beruflichen Qualifizierungen einhergehen. Gemeinsam ist diesen Arbeitsformen, dass sie große Autonomie, Eigenverantwortung und eine aktive Eigenstrukturierung der Arbeit erfordern. Statt direkter Anweisung geben in der neuen Arbeitswelt Arbeitgeber oder Kunden den Beschäftigten/Selbstständigen lediglich erwünschte Ergebnisse vor. Die Art und Weise der Umsetzung bleibt dabei ganz diesen überlassen – selbstverständlich aber auch inklusive der direkten Verantwortung für ein (aus Perspektive der Auftraggeber) zufriedenstellendes oder nicht zufriedenstellendes Endergebnis. Auf Grund der neuen Arbeitsformen weist nun auch die Arbeit von abhängig Beschäftigten immer mehr Ähnlichkeit mit der von Selbstständigen („Scheinselbstständigkeit”?) auf, deren Zahl in der neuen Arbeitswelt aber ebenso weiter ansteigt.
Arbeitsschutzrecht muss sich anpassen
Diese Ambivalenz ist nicht einfach nur Ausdruck eines technologischen Wandels, wie es ihn seit dem letzten Weltkrieg häufiger gegeben hat. Sie ist viel fundamentaler, und es bedarf vermutlich daher in naher Zukunft einer Anpassung des Arbeitsschutzrechts an die neuen Realitäten. An dieser Stelle kann darauf nicht näher eingegangen werden, aber folgende Punkte seien genannt, um die großen Herausforderungen, die in den weiteren Abschnitten dieses Beitrags angesprochen werden, auch aus rechtlicher Perspektive besser einordnen zu können [1]:
Unabhängige Arbeitnehmer oder abhängige Selbstständige: Klassische Arbeitnehmermerkmale wie die Weisungsgebundenheit, Fremdbestimmtheit oder persönliche Abhängigkeit erodieren zunehmend, zumindest bei den kreativen und hochqualifizierten Jobs. Dafür haben die Arbeitnehmer zunehmend aber auch unternehmerische Risiken zu tragen. Für den Arbeitsschutz könnte dies zur Folge haben, dass Arbeitnehmer (wenn nicht rechtlich umgesteuert wird) zunehmend in ein Vakuum geraten, das sie nach heutigen rechtlichen Bedingungen in vielen Fällen unzufrieden zurücklässt. Denn die Arbeitnehmer in der Arbeitswelt 4.0 haben zunehmend Eigenschaften sowohl des Arbeitnehmers als auch des Selbstständigen, was eine eindeutige Kategorisierung erschwert.
Schutzbedürftigkeit und Selbstbestimmung: Aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht arbeiten die Arbeitskräfte 4.0 unter Arbeitsumständen, die durch Ziel- und Projektorientierung, Bedarfsausrichtung und temporäre Beanspruchung gekennzeichnet sind. Durch ihre zeitliche, räumliche und inhaltliche Entgrenzung der Arbeit erhalten die Arbeitnehmer mehr Freiheit und Selbstbestimmung, die ihnen auch eine stärkere Einflussmacht über die Schutzumstände gewährt. Das Arbeitsschutzrecht muss daher früher oder später die Frage nach der Schutzbedürftigkeit, Schutzwürdigkeit und Schutzbereitstellung angesichts einer neuen Pflichtenverteilung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer neu beantworten.
Eigenverantwortliche Selbstgefährdung: Der letzte Punkt kann noch erweitert werden. Gefahrensituationen, die innerhalb der dem Arbeitnehmer zustehenden Entscheidungsfreiheit eintreten können, könnten dem Arbeitnehmer in Zukunft selbst zugerechnet werden, soweit er hinreichendes Bewusstsein/Wissen über ihre Ursachen, Entstehung und Prävention hat. Es könnte in Zukunft zu einer (weitgehenden) Übertragung der Eigenverantwortung auf den Arbeitnehmer kommen. Ob dies aus Arbeitnehmersicht wünschenswert ist, mag fraglich sein. So oder so wird das Arbeitsschutzrecht aller Voraussicht nach nicht umhinkommen, nachzubessern und sich der digitalen Realität anzupassen.

2 Gestaltungskompetenz und Resilienz

Ambivalenz der zunehmenden Gestaltungsmöglichkeiten
Die ausgeprägte Autonomie der „individualisiert Arbeitenden” [2] führt zu einer ambivalenten Situation: Auf der einen Seite haben diese eigene Gestaltungsmöglichkeiten wie noch nie seit dem Zeitalter der industriellen Revolution, auf der anderen Seite stellt die neue Arbeitswelt so hohe Anforderungen an die Gestaltungskompetenzen der Arbeitenden wie ebenfalls noch nie zuvor in der modernen Arbeitswelt. Die individualisiert Arbeitenden müssen nicht nur ihre eigentliche Arbeit selbst managen, sondern auch auf die Gestaltung der Zusammenarbeit mit anderen Personen innerhalb und außerhalb der Firma, die Arbeitsbedingungen sowie die Planung von Erholungspausen und Freizeit. Darüber hinaus sind sie zunehmend auch für den Erhalt ihrer eigenen Gesundheit verantwortlich. Nur wenn Arbeitnehmer in der Lage sind, ihre Arbeit effektiv zu gestalten, und gleichzeitig lernen, Belastungen zu reduzieren und mit ihren eigenen Ressourcen hauszuhalten, ist die Erhaltung der Beschäftigungs- und Leistungsfähigkeit bis in hohe Alter möglich. Die „Selbstgestalter” [2] in der heutigen und zukünftigen Arbeitswelt stehen also mit anderen Worten vor der komplexen Herausforderung, ihre Arbeit so effektiv und effizient zu gestalten wie möglich, zum anderen müssen sie die Arbeit so durchführen, dass keine gesundheitlichen Belastungen entstehen.

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