-- WEBONDISK OK --

05010 Betriebliches Gesundheitsmanagement als Teil eines ganzheitlichen Arbeitsschutzes

In der Diskussion um die Frage, wie und wohin sich „die Arbeit” entwickelt, fallen in aktuellen Beiträgen immer wieder Begriffe wie Globalisierung, digitale Revolution, demografischer Wandel und auch Work-Life-Balance. All diese Schlagworte beleuchten unterschiedliche Facetten des rasanten Wandels in der modernen Arbeitswelt, der die Arbeitsbedingungen und die gesamten Lebensverhältnisse des arbeitenden Menschen maßgeblich beeinflusst. Vor dem Hintergrund des zunehmend herausfordernd und belastend werdenden Wandels der Arbeit ist es umso wichtiger zu betonen, dass nachhaltiger Unternehmenserfolg nur durch gesunde Mitarbeiter erreicht werden kann. Dafür zu sorgen ist nicht nur Aufgabe des Arbeitsschutzes und der Arbeitsmedizin, zunehmend ist auch die Expertise anderer Fachdisziplinen, nicht zuletzt der Arbeits- und Organisationspsychologie, gefordert. Das konstruktive und effiziente Zusammenwirken der unterschiedlichen Fachdisziplinen mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten soll über strukturierte Management- und Qualitätssicherungssysteme gewährleistet werden. Im Folgenden soll daher das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) als ganzheitliche Unternehmensstrategie zum Erhalt und zur Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der Beschäftigten dargestellt werden. Zusätzlich werden die Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) als Teildisziplinen des BGM mit ihren jeweiligen Zielsetzungen vorgestellt und anhand eines Beispiels illustriert. Aufgrund des zur Verfügung stehenden Raums kann der Beitrag nur den Anspruch haben, erste Grundlagen zu diesen Themen zu vermitteln. Detaillierte Fragen des BGM, der BGF und des BEM werden in den angegebenen (oder auch anderen) Publikationen behandelt. Daher wird darauf auch explizit verwiesen.
von:

1 Sich wandelnde Arbeitsbedingungen

Neue Entwicklungen
Im Zuge der Industrialisierung haben sich bis heute erhebliche technische, ökonomische und soziale Veränderungen in Wirtschaft und Arbeitswelt durchgesetzt: Unter anderem machten es insbesondere technische Fortschritte möglich, Arbeit durch Maschinen erledigen zu lassen. Die Folge ist, dass sich Arbeitsplätze seither immer mehr vom industriellen in den Dienstleistungssektor verlagern [1]. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2020 in der Bundesrepublik Deutschland 75 % von insgesamt 45 Mio. Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor beschäftigt [2]. Im Jahr 2000 betrug der Anteil noch knapp 70 % [3].
Tertiärisierung der Arbeitswelt
Diese seit den 1950er-Jahren stattfindende „Tertiärisierung” der Berufs- und Arbeitswelt gewinnt zusätzlich an Bedeutung, wenn das damit einhergehende sich wandelnde Profil von „Arbeit” betrachtet wird. Nach der Klassifikation der Wirtschaftsbereiche können Wirtschaftssysteme in einen primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei), einen sekundären Sektor (Verarbeitendes Gewerbe) und einen tertiären Sektor (Dienstleistungen) unterteilt werden. Der Umwandlungsprozess zu einer Dienstleistungsgesellschaft wird als Tertiärisierung bezeichnet. Konkret bedeutet dies zum Beispiel, dass heute immer mehr Menschen beispielsweise an digitalen Arbeitsplätzen arbeiten, sie also größtenteils kognitive, weniger körperliche Tätigkeiten ausführen. Die Organisation und Verarbeitung von Informationen verlangt dabei höchste geistige Fitness der Beschäftigten. Zudem werden sie mit ständigen technologischen Neuerungen ihrer Arbeitsmittel konfrontiert, an die es sich anzupassen gilt.
Dynaxität als Ursache
Als eine der Ursachen für die Zunahme der Belastungen wird gerne auf die gestiegene Dynaxität unserer (Arbeits-)Welt verwiesen [4]. Es handelt sich dabei um ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den Begriffen Dynamik und Komplexität. Produkte, Dienstleistungen, Prozesse und Organisationen verändern sich in Richtung und Intensität immer schneller (Dynamik) und werden komplexer, d. h., die Zahl und die Vielfalt der Systemelemente sowie deren Vernetzungsgrad steigen (Komplexität). Diese Kombination aus Dynamik und Komplexität (Dynaxität) stellt vor allem hinsichtlich der zunehmenden Eigendynamiken der Systeme, die kaum noch durch den Menschen beherrschbar sind, die zentrale Herausforderung für uns dar. In dieser Ohnmacht liegen nach Auffassung vieler Arbeitsexperten wesentliche Gründe für Scheitern, psychosoziale Störungen und verminderte Lebensqualität.
Veränderte Anforderungsprofile
Während man in klassischen Produktionstätigkeiten also vor allem über die für die Ausübung der Arbeit notwendigen motorischen Fertigkeiten verfügen muss, ist das Anforderungsprofil in modernen Dienstleistungsberufen verändert: Soziale und interpersonelle Kompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit und Teamgeist, aber auch Flexibilität und selbst- sowie emotionsregulatorische Kompetenzen sind am Arbeitsplatz zunehmend unerlässlich [1].
Arbeit – von manuell zu digital
Arbeit in diesem Sinn bedeutet also, sich sozial wie emotional an sein Arbeitsumfeld anzupassen, sich kreativ mit Aufgaben und Herausforderungen auseinanderzusetzen und Probleme selbstständig zu lösen. Selbstverständlich sind diese Eigenschaften – wenn auch in geringerem Umfang – ebenso in der klassischen Produktion relevant, aber speziell im Dienstleistungssektor sind digitale und soziale Kompetenzerfordernisse besonders stark seitens der Arbeitsplatzinhaber gefordert.
Entgrenzung von Berufs- und Privatleben
Weiterhin lässt sich eine Entgrenzung von Berufs- und Privatleben feststellen. Die immensen technologischen Entwicklungen in den vergangenen zwei bis drei Dekaden machen eine zunehmend flexible Arbeitsplatzgestaltung möglich, bei der die Beschäftigen vor allem im Dienstleistungssektor nicht zwingend an einen festen Arbeitsort gebunden sind, sondern bei der Durchführung ihrer Aufgaben mitunter (fast) völlig frei und ungebunden zwischen den Orten wechseln können. Daraus resultierend lassen sich Arbeitszeiten flexibel einteilen und an individuelle Bedürfnisse anpassen. Diese durchaus positiv zu betrachtende Entwicklung verschafft den Beschäftigten mehr Handlungsspielräume, aber auch mehr Eigenverantwortung in ihrem Berufsalltag. Gleichzeitig bedeutet sie zudem, dass die Grenzen von beruflicher Tätigkeit und Privatleben immer mehr verschwimmen. Im Sinne einer gesunden „Work-Life-Balance” ist eine Lebensführung mit bewusster Einteilung von Arbeitszeit und Freizeit durchaus eine Herausforderung.
Immenser Wettbewerbsdruck
Die globalisierte Welt birgt Chancen, aber auch Risiken. So konnten Unternehmen dank der internationalen Märkte kontinuierlich wachsen. Andererseits bedeuten globalisierte Märkte auch globalisierten Wettbewerb. Qualität und Ökonomie bei gleichzeitig beschränkten Ressourcen müssen gemanagt werden. Als Folge dieser Globalisierungsprozesse bleiben in Unternehmen Rationalisierungsmaßnahmen oft nicht aus, um die eigene Produktivität aufrechtzuerhalten [5]. Personalabbau bei parallel wachsender Aufgabenmenge und -vielfalt sowie ständiger Zeitdruck setzen dann wiederum höhere Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten voraus.
Ein Zwischenfazit
Die genannten Entwicklungen verdeutlichen vor allem eines: Die Belastungen und Beanspruchungen in der Arbeitswelt verändern sich. Gesundheitserhaltung und -förderung müssen umfassender, ganzheitlicher, strukturierter und nachhaltiger werden. Dies geht nicht ohne ein konkretes Managementsystem (BGM), konkrete Maßnahmen (BGF) und klare Regelungen bei Vorliegen von gesundheitlichen Problemen und Beeinträchtigungen (BEM).

2 Globalisierung und Gesundheit – eine schwierige Beziehung?

Hoher Krankenstand
Im Zusammenhang mit den sich wandelnden Arbeitsbedingungen und Arbeitsanforderungen, vermeintlich im Zuge der Globalisierung, wird immer wieder darauf verwiesen, dass der Krankenstand langsam, aber kontinuierlich steigt – dies jedenfalls verkünden zahlreiche deutsche Krankenkassen in ihren jährlichen Gesundheitsberichten. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich der Wert auf einem Niveau von knapp über 4 % in den letzten Jahren eingependelt hat (vgl. Abb. 1).

Weiterlesen und „Arbeitsschutz besser managen digital“ 4 Wochen gratis testen:

  • Das komplette Know-how in Sachen Arbeitsschutz
  • Zugriff auf alle Fachbeiträge und Arbeitshilfen
  • Onlinezugriff – überall verfügbar


Sie haben schon ein Abonnement oder testen bereits? Hier anmelden

Ihre Anfrage wird bearbeitet.
AuthError LoginModal