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03516 Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz

Der Beitrag erläutert zunächst Typen und Formen von Gewalt am Arbeitsplatz und beziffert das Ausmaß des Phänomens. Anschließend werden die wesentlichen Ursachen, die häufigsten Folgen und die rechtlichen Rahmenbedingungen von Gewalt am Arbeitsplatz benannt.
Im Zentrum des Beitrags steht die Lösungsorientierung, also die Frage, was in Betrieben präventiv getan werden kann und auch getan werden sollte, um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Gewalt zu reduzieren. Im Sinne der Sekundärprävention wird in diesem Zusammenhang auch skizziert, welche Maßnahmen man verfolgen sollte, um die Verschlimmerung von (Spät-)Folgen zu vermeiden, sofern es tatsächlich zu einem Fall von Gewalt im Betrieb kommen sollte.
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1 Definition und Typen von Gewalt am Arbeitsplatz

Die Begrifflichkeit „Gewalt am Arbeitsplatz” wird von der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation – ILO) als Vorkommnis definiert, bei dem Beschäftigte im Verlauf oder in direkter Folge ihrer Arbeit beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen werden.
Betriebsinterne – und externe Gewalt
Es ist sinnvoll, verschiedene Typen von Gewalt zu unterscheiden [1]. Man kann zwischen betriebsinterner und -fremder Gewalt unterscheiden. Während betriebsinterne Gewalt Auseinandersetzungen innerhalb der Belegschaft meint, spricht man von betriebsfremder Gewalt, wenn diese von Externen, etwa Kunden, Lieferanten etc., ausgeht. Eine andere Typologie unterscheidet zwischen situativ entstehender und vorsätzlicher Gewalt: Diese Differenzierung ist deshalb von großer praktischer Relevanz, weil sich daraus unterschiedliche Präventionsstrategien ableiten lassen: Es macht einen großen Unterschied, ob man beispielsweise einen situativ entstandenen Konflikt deeskalieren möchte oder sich mit einer lang geplanten Tat konfrontiert sieht. Fälle von Gewalt am Arbeitsplatz kann man insofern unterscheiden, als es unterschiedliche Entwicklungsdynamiken gibt: Es gibt Fälle, die aus einer Situation heraus entstehen, und andere Taten, die nach einer – oft langen – Phase der Planung und somit mit zeitlichem Vorlauf ausgeübt werden.
Situative und vorsätzliche Gewalt
Situative – auch affektive – Gewalt ist ein aggressives Verhalten, das aus der Situation heraus entsteht und somit eine reaktive Komponente besitzt. Charakteristisch für diesen Typ von Gewalt ist eine ausgeprägte physiologische Erregung. Diese kann beispielsweise eine Folge von Wut sein. Situative bzw. affektive Gewalt wird auch als „heiße Gewalt” bezeichnet. Unter zielgerichteter Gewalt versteht man einen Typ der Gewalt, bei dem die Tat mit einem zeitlichen Vorlauf (lange) geplant wurde. Bei diesem Typ fehlt sowohl die für die situative Gewalt typische physiologische Erregung als auch das Gefühl einer akuten Bedrohung. Dieser Typ zeichnet sich durch kognitive Planung aus und wird oftmals auch als „vorsätzlich” beschrieben. Er wird daher auch als „kalte Gewalt” bezeichnet. Um den zielgerichteten bzw. geplanten Typ von Gewalt handelt es sich in der Regel bei den Fällen von Gewalt, die mit krimineller Absicht verübt werden. Dieser Gewalttyp kann aber auch die Folge einer über einen längeren Zeitraum angestauten Frustration sein, in deren Folge jemand für sich entscheidet, sich an seinem Umfeld zu rächen. Dies kann insbesondere bei betriebsinterner Gewalt der Fall sein.

2 Formen von Gewalt

Die Gewalt am Arbeitsplatz zeigt sich in vielfältiger Art und Weise: Menschen werden (auch) in der Arbeitswelt beleidigt, beschimpft, bedroht, diskriminiert, gekränkt, gemobbt, sexuell belästigt, nicht selten auch Opfer von Stalking und in manchen Fällen auch Opfer von körperlichen Übergriffen. In sehr seltenen Fällen verlieren Menschen als Folge von Gewalt am Arbeitsplatz sogar ihr Leben.
Mobbing und Bossing
Am häufigsten tritt Gewalt am Arbeitsplatz in Form von verbaler Gewalt auf: Beschäftigte werden nicht selten während ihrer Tätigkeit beschimpft und beleidigt. Vor allem betriebsinterne ist oft psychische Gewalt. Es gibt unterschiedliche Wege, Kolleginnen und Kollegen psychisch zu kränken: als Folge von mangelnder Empathie oder mit Vorsatz. In den 1980er-Jahren führte Heinz Leymann, ein in Schweden lebender deutschstämmiger Psychologe, den Begriff „Mobbing” ein, um schwere Formen psychischer Gewalt in Organisationen zu beschreiben [2]. Das Substantiv „Mob” bedeutet „Horde” oder „Schar”. Die sprachliche Herkunft macht deutlich, dass es sich beim Mobbing um ein Gruppenphänomen handelt, das eine spezifische Form von psychischer Gewalt ist. Unter „Mobbing” in der Arbeitswelt versteht man wiederholte negative Handlungen, die über einen längeren Zeitraum in verletzender Absicht gegen Beschäftigte gerichtet sind und zum Ausschluss des bzw. der Betroffenen aus der Arbeitsgemeinschaft führen können. Typische Formen von Mobbing sind die Kontaktverweigerung durch Nichtantworten, das Ignorieren und Ähnliches. Eine Teilmenge bzw. Sonderform von Mobbing ist das sogenannte Bossing. Dabei handelt es sich um Mobbing durch Vorgesetzte.
Eine besondere Form von Gewalt am Arbeitsplatz sind Fälle von sexueller Belästigung und sexuellen Übergriffen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) definiert sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz als eine Form der Benachteiligung, egal ob es sich dabei um Kommentare mit sexuellem Inhalt oder sexuell bestimmte Berührungen handelt.
Stalking ist einseitiger Kontaktwunsch
Eine weitere Form von Gewalt ist Stalking. Stalking tritt in der Regel als Beziehungstat auf und umfasst häufig Elemente sowohl psychischer als auch physischer Gewalt. Dabei wird die Privatsphäre regelmäßig missachtet: Der bzw. die Betroffene wird oftmals sowohl ins Privat- als auch ins Arbeitsleben hinein verfolgt [3]. Wie „Mobbing” oder „Bossing” kommt auch der Begriff „Stalking” aus dem Englischen: Er bedeutet so etwas wie sich anzupirschen und das Wild zu verfolgen. Stalker lauern ihren Opfern auf, sie stellen ihnen nach, spionieren ihr Leben aus, verfolgen sie, senden ihnen unzählige Briefe, Mails oder WhatsApp-Nachrichten, rufen sie ständig an, beschenken die Opfer gegen deren Willen oder tun andere vergleichbare Dinge.
Arten körperlicher Gewalt
Gewalt am Arbeitsplatz kann sich auch in Form von körperlichen Übergriffen bzw. physischer Gewalt abspielen. Dabei ist die Bandbreite groß: von vergleichsweise harmlosem Gerangel oder Schubsen über Handgreiflichkeiten bis hin zu Fällen von schwerer Körperverletzung. Entgegen dem von Medien nach Ereignissen wie brutalen Messerangriffen auf Beschäftigte etwa von Behörden erweckten Eindruck sind Fälle von schwerer Köperverletzung eher selten. Bei den Handgreiflichkeiten zwischen betriebsinternen bzw. -fremden Personen kommt es nach Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in fast 70 Prozent der Fälle zu Prellungen, Verstauchungen oder oberflächlichen Hautverletzungen.

3 Ausmaß von Gewalt am Arbeitsplatz

Dokumentierte Fälle als Spitze des Eisbergs
Einen realistischen Überblick über das tatsächliche Ausmaß von Gewalt in der Arbeitswelt zu bekommen ist nahezu unmöglich, insbesondere weil die Dunkelziffer außerordentlich hoch ist. Dessen ungeachtet können für Deutschland der jährlich erscheinenden Arbeitsunfallstatistik der DGUV interessante Daten entnommen werden [4]. Die von der DGUV zusammengetragenen Daten unterliegen einigen Limitationen: Nicht erfasst sind die Arbeitsunfälle der rund zwei Millionen Beamtinnen und Beamten. Allein schon aus diesem Grund sind die im Folgenden präsentierten Zahlen deutlich niedriger als das tatsächliche Ausmaß der Gewalt am Arbeitsplatz. Hinzu kommt ein zweiter wichtiger Aspekt: In dieser Statistik tauchen nur die Arbeitsunfälle auf, die zu einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens vier Tagen führten. Schließlich sollte noch ein dritter Aspekt bedacht werden: Insbesondere in Fällen von betriebsinterner Gewalt kann es durchaus vorkommen, dass ein Arbeitgeber bzw. ein Vorgesetzter versucht, gewisse Ereignisse „unter den Tisch zu kehren”. Auch wenn das betroffene Opfer um seinen Arbeitsplatz fürchtet, wird es ggf. auf den Gang zu einem Arzt und auf eine längere Arbeitsunfähigkeit verzichten. Auch Arbeitsunfälle als Folge psychischer Gewalt inklusive Fällen von Mobbing tauchen in dieser Statistik nicht auf, da es sich nach einem Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 19. März 2014 dabei nicht um Arbeitsunfälle handelt. Allein schon aus diesen vier Gründen ist das tatsächliche Ausmaß von Gewalt in der Arbeitswelt deutlich höher als in den Dokumentationen der DGUV ausgewiesen.
Gewaltunfälle
In der Statistik der DGUV werden Unfälle als Folge von Gewalt mit dem Merkmal „Abweichung vom normalen (unfallfreien) Verlauf” erfasst. Dabei wird unterschieden, ob die Gewalt von Beschäftigten des eigenen Unternehmens, also betriebsinternen Personen, oder von betriebsfremden Personen ausgegangen ist. Die Zahl der in der Statistik erfassten meldepflichtigen Unfälle aufgrund von Gewalt, Angriff, Bedrohung und Überraschung/Schreck (verstanden als abgeschwächte Form von Angriffen, bei denen es zu einem Unfall infolge einer Überraschung bzw. eines Schrecks kommt) liegt seit einigen Jahren relativ konstant im Bereich von ca. 12.000 bis 20.000 Fällen pro Jahr. Neben der absoluten Häufigkeit ist die Einordnung dieser Gewaltunfälle in das Gesamtunfallgeschehen von Interesse.

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