02291 Was kann und sollte die ganzheitliche Gesundheitsvorsorge leisten?
Erläuterungen zur AMR 3.3
In der Praxis ist die arbeitsmedizinische Vorsorge immer noch von einer eher versicherungsrechtlichen Philosophie und oft gegensätzlichen Erwartungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern geprägt. Die arbeitsmedizinische Regel (AMR) 3.3 „Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge” soll ein gemeinsames Verständnis schaffen und Standards für eine gute Vorsorgepraxis festlegen. Sie richtet sich an Betriebsärzte und ihre Partner, um detaillierte Empfehlungen für die Handhabung der Vorsorgeanlässe zu erarbeiten. von: |
1.1 Rechtliche Verankerung
Rechtliche Grundlagen für die ganzheitliche und präventive Ausrichtung der arbeitsmedizinischen Vorsorge ergeben sich insbesondere aus der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV).
Eckpunkte der ArbMedVV
Sie gibt in § 1 Absatz 1 vor, nicht nur arbeitsbedingte Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu verhüten, sondern auch einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes zu leisten. Weiter werden bereits in den Begriffsbestimmungen der ArbMedVV die Beurteilung der individuellen Wechselwirkungen von Arbeit und physischer und psychischer Gesundheit (§ 2 Absatz 1 Nummer 2) sowie ein ärztliches Beratungsgespräch mit Anamnese und Arbeitsanamnese (§ 2 Absatz 1 Nummer 3) gefordert.
Sie gibt in § 1 Absatz 1 vor, nicht nur arbeitsbedingte Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu verhüten, sondern auch einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes zu leisten. Weiter werden bereits in den Begriffsbestimmungen der ArbMedVV die Beurteilung der individuellen Wechselwirkungen von Arbeit und physischer und psychischer Gesundheit (§ 2 Absatz 1 Nummer 2) sowie ein ärztliches Beratungsgespräch mit Anamnese und Arbeitsanamnese (§ 2 Absatz 1 Nummer 3) gefordert.
Des Weiteren wird sowohl die Nutzung von Erkenntnissen für die Gefährdungsbeurteilung (§ 2 Absatz 1 Nummer 4) als auch die Auswertung durch den Arzt bzw. Ärztin zur Unterbreitung von Verbesserungsvorschlägen für Arbeitsschutzmaßnahmen oder auch für einen Wechsel der Tätigkeit angesprochen, wenn dies die einzige Möglichkeit einer Verbesserung von Arbeitsbedingungen ist (§ 6 Absatz 4, AMR 6.4).
Durch die vorrangige Beauftragung des/der nach dem Arbeitssicherheitsgesetz bestellten Betriebsarztes bzw. Betriebsärztin (§ 3 Absatz 2 Satz 1) und der Bündelung mehrerer Vorsorgeanlässe in einem Termin (§ 3 Absatz 3 Satz 2) erfolgt ein weiterer Schritt in Richtung ganzheitlicher Betrachtung.
Austausch ist unabdingbar
Arbeitgeber und Arzt bzw. Ärztin werden wechselseitig verpflichtet, alle erforderlichen Auskünfte über die Arbeitsplatzverhältnisse auszutauschen (§ 3 Absatz 2 Satz 3; (§ 6 Absatz 1 Satz 2 AMR 3.1).
Arbeitgeber und Arzt bzw. Ärztin werden wechselseitig verpflichtet, alle erforderlichen Auskünfte über die Arbeitsplatzverhältnisse auszutauschen (§ 3 Absatz 2 Satz 3; (§ 6 Absatz 1 Satz 2 AMR 3.1).
Last but not least ist auch das Recht auf regelmäßige arbeitsmedizinische Beratung und Untersuchung fest in Artikel 14 der Richtlinie 89/391/EWG, § 11 ArbSchG §§ 4, 5 und 5a ArbMedVV = Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorge) verankert. Ganzheitliches Vorsorgedenken und -handeln soll so allen Beschäftigten niedrigschwellig zugänglich werden.
1.2 Zielsetzung
Der Gesetzgeber verfolgt mit den vorgestellten Regelungen das Ziel, arbeitsbedingte Erkrankungen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Zudem soll mit der ganzheitlichen arbeitsmedizinischen Vorsorge ein Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit geleistet und der betriebliche Gesundheitsschutz weiter gefördert werden.
1.3 Abgrenzung
Freiwilligkeit
Der Begriff ganzheitliche Vorsorge im Sinne der ArbMedVV umfasst nicht die „weiteren Maßnahmen der Gesundheitsförderung” im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 4 ArbMedVV. Diese Maßnahmen kann der Arbeitgeber auf freiwilliger Basis anbieten. Sie sind nicht Teil der arbeitsmedizinischen Vorsorge, sondern unterfallen dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin kann Beschäftigte im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu solchen Maßnahmen beraten.
Der Begriff ganzheitliche Vorsorge im Sinne der ArbMedVV umfasst nicht die „weiteren Maßnahmen der Gesundheitsförderung” im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 4 ArbMedVV. Diese Maßnahmen kann der Arbeitgeber auf freiwilliger Basis anbieten. Sie sind nicht Teil der arbeitsmedizinischen Vorsorge, sondern unterfallen dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin kann Beschäftigte im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu solchen Maßnahmen beraten.
Prävention
Unter den „weiteren Maßnahmen der Gesundheitsförderung” im Sinne des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) versteht man zusätzliche Leistungen und Programme, die zur Förderung der Gesundheit und Prävention von Krankheiten dienen. Dazu gehören beispielsweise Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen, Gesundheitskurse, Früherkennungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten. Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen oder gar zu verhindern und somit die Gesundheit der Versicherten zu erhalten oder zu verbessern.
Unter den „weiteren Maßnahmen der Gesundheitsförderung” im Sinne des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) versteht man zusätzliche Leistungen und Programme, die zur Förderung der Gesundheit und Prävention von Krankheiten dienen. Dazu gehören beispielsweise Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen, Gesundheitskurse, Früherkennungsmaßnahmen und Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten. Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen oder gar zu verhindern und somit die Gesundheit der Versicherten zu erhalten oder zu verbessern.
2 Bringt die AMR 3.3 etwas komplett Neues?
Konkretisieren und Lücken schließen
Die AMR 3.3 bedeutet weder eine Ausweitung noch eine neue Kategorie von arbeitsmedizinischer Vorsorge, sondern soll den ganzheitlichen Vorsorgeansatz konkretisieren und so Lücken im praktischen Umgang mit den vorhandenen Regelungen schließen. In der Praxis werden die präventiven Potenziale arbeitsmedizinischer Vorsorge und die Chancen von Synergien oft noch nicht ausreichend ausgeschöpft. Eine Beschränkung der Vorsorge auf ihren aktuellen Anlass war in einer Zeit der obligaten ärztlichen Beurteilung und Übermittlung möglicher gesundheitlicher Bedenken gegen die Ausübung einer konkreten Tätigkeit an den Arbeitgeber gerechtfertigt – dieser Ansatz ist aber für die aktuellen Anforderungen im Arbeitsmarkt nicht mehr ausreichend.
Die AMR 3.3 bedeutet weder eine Ausweitung noch eine neue Kategorie von arbeitsmedizinischer Vorsorge, sondern soll den ganzheitlichen Vorsorgeansatz konkretisieren und so Lücken im praktischen Umgang mit den vorhandenen Regelungen schließen. In der Praxis werden die präventiven Potenziale arbeitsmedizinischer Vorsorge und die Chancen von Synergien oft noch nicht ausreichend ausgeschöpft. Eine Beschränkung der Vorsorge auf ihren aktuellen Anlass war in einer Zeit der obligaten ärztlichen Beurteilung und Übermittlung möglicher gesundheitlicher Bedenken gegen die Ausübung einer konkreten Tätigkeit an den Arbeitgeber gerechtfertigt – dieser Ansatz ist aber für die aktuellen Anforderungen im Arbeitsmarkt nicht mehr ausreichend.
Vielmehr muss heute die Gesunderhaltung der Beschäftigten in den Mittelpunkt der Vorsorgebemühungen rücken, indem die Wechselbeziehungen von Arbeit und Gesundheit umfassend berücksichtigt werden. Dazu gehören die Einflüsse der Arbeit auf die Gesundheit und ebenso die Auswirkungen individueller Gesundheit auf die Beschäftigungsfähigkeit arbeitender Menschen. Das setzt voraus, dass Betriebsärztinnen und Betriebsärzte nicht allein den Vorsorgeanlass, sondern die Gesamtheit ausgeübter Tätigkeiten und arbeitsbedingter Belastungen betrachten.
Das Gleiche gilt für die Früherkennung und Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen sowie den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Dazu bedarf es ausführlicher und individueller Anamnesefragen sowie Untersuchungen und der Beratung ohne Beschränkung auf den aktuellen Vorsorgeanlass.
Ganzheitlicher Beratungsansatz
Der ganzheitliche Beratungsansatz gilt für die Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorge gleichermaßen. Auch die AMR 3.3 bezieht sich auf alle drei Arten der arbeitsmedizinischen Vorsorge.
Der ganzheitliche Beratungsansatz gilt für die Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorge gleichermaßen. Auch die AMR 3.3 bezieht sich auf alle drei Arten der arbeitsmedizinischen Vorsorge.
3 Vorgehensweise bei der ganzheitlichen Vorsorge
Der Umfang der ganzheitlichen Vorsorge im Rahmen der arbeitsmedizinischen Untersuchungen hängt von den vereinbarten Rahmenbedingungen mit den jeweiligen Unternehmen ab. Zentrale Aspekte der ganzheitlichen Vorsorge sind die Beratung und die Bereitschaft der Beschäftigten, Empfehlungen umzusetzen.
Formen der Information
Der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte e. V. empfiehlt seinen Mitgliedern deshalb, Beschäftigte bereits im Vorfeld der arbeitsmedizinischen Vorsorge mittels entsprechender Hinweise in der Einladung über die Möglichkeit einer erweiterten Beratung zu informieren. Alternativ oder zusätzlich sollten Flyer im Wartebereich und Informationen auf der Website vorhanden sein.
Der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte e. V. empfiehlt seinen Mitgliedern deshalb, Beschäftigte bereits im Vorfeld der arbeitsmedizinischen Vorsorge mittels entsprechender Hinweise in der Einladung über die Möglichkeit einer erweiterten Beratung zu informieren. Alternativ oder zusätzlich sollten Flyer im Wartebereich und Informationen auf der Website vorhanden sein.
3.1 Schlüsselrolle der Anamnese
Die Grundlage einer umfassenden Vorsorge ist eine gründliche Anamnese. Der Arzt oder die Ärztin muss unabhängig vom Vorsorgeanlass eine vollständige Arbeitsanamnese erheben. Das schließt Fragen zur Arbeitssituation und zum Umgang der Beschäftigten mit den Arbeitsanforderungen ein, berücksichtigt aber ebenso die Familiengeschichte und Vorerkrankungen der Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen. Sie erfasst aktuelle Beschwerden in Bezug auf die Arbeit sowie im Hinblick auf vegetative Aspekte wie Schlaf, Appetit, Verdauung, Rauchen, aktuelle Medikamente und den Impfstatus. Es geht dabei um Angaben der Beschäftigten zu spezifischen Beschwerden bzw. klinischen Symptomen unter Berücksichtigung der bekannten Gefährdungen am aktuellen Arbeitsplatz. Die Aussagen der Beschäftigten sollen durch gezielte ärztliche Nachfragen vertieft und erweitert werden, um gesundheitliche Beschwerden hinsichtlich möglicher auslösender Faktoren besser einschätzen zu können.