05041 Modernes Arbeitsschutzmanagement mit Human & Organizational Performance (HOP)
Dieser Beitrag beleuchtet den Paradigmenwechsel im Arbeitsschutz hin zu Human & Organizational Performance (HOP). Er zeigt, wie HOP-Prinzipien sicherere Arbeitsbedingungen fördern, indem sie menschliche Fähigkeiten und systemische Ursachen berücksichtigen, und stellt einen systemischen, menschenzentrierten Ansatz vor, der proaktives Lernen und eine verbesserte Fehlerkultur in modernen Arbeitsumgebungen unterstützt. Arbeitshilfen: von: |
1.1 Unfallursache Mensch
Der Faktor Mensch gewinnt bei der Analyse von Ereignissen, Unfällen und Störfällen zunehmend an Bedeutung. Mit der Komplexität technischer Systeme wächst auch die sicherheitstechnische Relevanz des komplexen Zusammenwirkens von Mensch, Technik und Organisation. Technische Risiken, die in den letzten Jahrzehnten durch immer bessere Technik und ausgefeilte Schutzmaßnahmen kompensiert wurden, können bereits heute gezielt beherrscht und minimiert werden. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch bei den Risiken, die durch den „Faktor Mensch” oder das so genannte menschliche Versagen entstehen.
Auswertungen von Unfallanalysen zeigen, dass menschliche Faktoren in 70 % bis über 90 % der untersuchten Ereignisse eine ursächliche oder mitursächliche Rolle spielen. Je nach Studie bzw. Quelle werden unterschiedliche Größenordnungen genannt, was meist auf die genaue Abgrenzung von menschlichen und organisatorischen Faktoren sowie auf die Einbeziehung des unmittelbar auslösenden oder begünstigenden Verhaltens sowie der vom Menschen geschaffenen Rahmenbedingungen des Ereignisses zurückzuführen ist. Abbildung 1 zeigt beispielhaft die vom US Department of Energy veröffentlichten Anteile von menschlichem und technischem Versagen am Unfallgeschehen und wie sich die Unfallursache Mensch bei näherer Betrachtung in individuelles Versagen und organisatorische Schwächen unterteilen lässt.
Vor allem im betrieblichen Kontext wird das Fehlen einer technischen Ursache häufig mit dem Vorhandensein einer menschlichen Ursache gleichgesetzt, ohne weiter zwischen individuellen oder kollektiven, direkten oder indirekten Ursachen zu differenzieren. In jedem Fall ist festzustellen, dass der Anteil menschlicher Ursachen an Ereignissen oder Beinahe-Ereignissen gegenüber den technischen Ursachen überwiegt und dies schon seit geraumer Zeit.
Abb. 1: Anteil technischer und menschlicher Fehler sowie deren individueller und organisatorischer Anteil am Unfallgeschehen [1]
1.2 Regeln und Regelverstöße
Eine gängige Reaktion auf diese Problematik ist die Aufstellung von Regeln und Verhaltensvorschriften, um Fehler und unerwünschtes Verhalten zu kontrollieren. Richtig, aber nur begrenzt wirksam ist dabei, dass neben Prozessbeschreibungen („Wie es geht?”) auch Anweisungen zur sicheren Durchführung („Wie es sicher geht?”) unter Berücksichtigung von technischen Regelwerken, Hersteller- und Konzernvorgaben an die Beschäftigten adressiert werden.
Grenzen von Regeln
Dieser Ansatz stößt jedoch zunehmend an seine Grenzen. Zum einen führt er dazu, dass es zwangsläufig zu viele Regeln gibt. Diese werden zum Teil unübersichtlich oder widersprechen sich, was zu eklatanten Interessenkonflikten führt. Diese müssen wiederum von den Beschäftigten in der jeweiligen Arbeitssituation gelöst werden. Ein neuer Graubereich entsteht.
Dieser Ansatz stößt jedoch zunehmend an seine Grenzen. Zum einen führt er dazu, dass es zwangsläufig zu viele Regeln gibt. Diese werden zum Teil unübersichtlich oder widersprechen sich, was zu eklatanten Interessenkonflikten führt. Diese müssen wiederum von den Beschäftigten in der jeweiligen Arbeitssituation gelöst werden. Ein neuer Graubereich entsteht.
Zum anderen wird bei Bekanntwerden der Nichteinhaltung einer Regel, sei es aufgrund zufälliger oder systematischer Verhaltensbeobachtung oder gar wegen Verursachung eines Unfalls, häufig das Versagen des Einzelnen als Ursache ausgemacht. Es wird also entweder festgestellt, dass eine Regel nicht befolgt wurde. Die Konsequenz ist dann, dass der Mitarbeiter erneut unterwiesen werden muss. Alternativ wird eine Lücke im Regelwerk der Aufgabe identifiziert, die noch geschlossen werden muss. Die Folge ist, dass das Regelwerk um diese Regel erweitert wird, was zu einer Zunahme seines Umfangs und seiner Unübersichtlichkeit führt.
Falsche Sicherheit
Es ist eine Tendenz zu beobachten, eine Vollständigkeit des Regelwerks anzustreben, die keine Fragen mehr offen lässt und keinen Spielraum für individuelles (Fehl-)Handeln mehr gewährt und bei der Sicherheit einfach dadurch entsteht, dass sich alle an diese Regeln halten. In der Konsequenz führt dieser Ansatz jedoch zu einer stetigen Zunahme und einer immer mächtigeren Flut von Regeln, deren Verwaltung und Kontrollmechanismen Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen beschäftigen. Sicherheit ist in Form der Erfüllung von Kennzahlen vielerorts zu einem Selbstzweck geworden, und diese werden auf dem Papier auch erreicht, aber in der Arbeitsrealität wird sie nicht mehr umgesetzt.
Es ist eine Tendenz zu beobachten, eine Vollständigkeit des Regelwerks anzustreben, die keine Fragen mehr offen lässt und keinen Spielraum für individuelles (Fehl-)Handeln mehr gewährt und bei der Sicherheit einfach dadurch entsteht, dass sich alle an diese Regeln halten. In der Konsequenz führt dieser Ansatz jedoch zu einer stetigen Zunahme und einer immer mächtigeren Flut von Regeln, deren Verwaltung und Kontrollmechanismen Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen beschäftigen. Sicherheit ist in Form der Erfüllung von Kennzahlen vielerorts zu einem Selbstzweck geworden, und diese werden auf dem Papier auch erreicht, aber in der Arbeitsrealität wird sie nicht mehr umgesetzt.
1.3 Proaktiv statt regelbasiert
Wachsende Bürokratie und zunehmende Complianceanforderungen haben bereits viele Unternehmen veranlasst, neue Wege im Arbeitsschutz zu gehen. Dies ist das Ergebnis von drei zentralen Erkenntnissen:
• | Keine Vorschrift und keine Prozessbeschreibung kann jemals die Arbeitswirklichkeit vollständig abbilden. Folglich wird eine weitere Regel das Problem wahrscheinlich nicht lösen, sondern allenfalls verlagern. |
• | Immer umfassendere Regelwerke führen dazu, dass sich ein Unternehmen in einer regelbasierten (Sicherheits-)Kultur verfestigt. Eine Weiterentwicklung zu einer proaktiven Kultur ist durch mehr Regeln per Definition nicht möglich. |
• | Der menschliche Beitrag zu Unfällen und Ereignissen ist keine menschliche Schwäche, sondern resultiert aus der Tatsache, dass der Mensch durch sein Handeln die Arbeit verrichtet und in einem immer komplexer werdenden Arbeitskontext Entscheidungen zur Zielerreichung treffen muss. Jede Handlung ist dabei durch eine positive und dem Arbeitsziel dienliche Absicht motiviert. Alles andere gilt nur für einen kleinen Teil der Belegschaft oder nur für wenige Handlungen, wenn überhaupt. |
Umdenken ohne Chaos
Dies bedeutet ein grundsätzliches Umdenken, das aber nicht in einem regellosen Chaos enden soll. Vielmehr wird den Beschäftigten eine wichtige Rolle zugewiesen, nämlich die Rolle der Experten für die zu erledigende Arbeit und für das Wissen über den tatsächlichen Arbeitskontext. Proaktive Unternehmen gehen von einem Top-down-Ansatz zu einem partizipativen Ansatz über, der eine Diskussion über die tatsächlichen Probleme, Arbeitsbelastungen und Risiken der Beschäftigten initiiert.
Dies bedeutet ein grundsätzliches Umdenken, das aber nicht in einem regellosen Chaos enden soll. Vielmehr wird den Beschäftigten eine wichtige Rolle zugewiesen, nämlich die Rolle der Experten für die zu erledigende Arbeit und für das Wissen über den tatsächlichen Arbeitskontext. Proaktive Unternehmen gehen von einem Top-down-Ansatz zu einem partizipativen Ansatz über, der eine Diskussion über die tatsächlichen Probleme, Arbeitsbelastungen und Risiken der Beschäftigten initiiert.
2.1 Der HOP-Ansatz
Wechselwirkungen elementar
Mit HOP wird nun ein Ansatz etabliert, der auf den zuvor eingeführten Problemen und Erkenntnissen aufbaut und insbesondere die hinter der Diagnose „menschliches Versagen” verborgenen oder unbekannten Probleme aufdeckt. HOP-Anwender streben ein kollektives Verständnis von normaler Arbeit, kritischen Abwehrmaßnahmen und großer Widerstandsfähigkeit gegen Unerwartetes an. Dies basiert auf einem expliziten Verständnis der Benutzer, Aufgaben und Umgebungen sowie der Fähigkeiten und Grenzen der Benutzer und ihrer Interaktion mit dem Arbeitssystem als Ganzes. Um dies zu erreichen, betrachtet HOP nicht nur menschliche, technologische und organisatorische Faktoren selbst, sondern insbesondere auch deren Wechselwirkungen. HOP basiert auf Erkenntnissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wie der experimentellen Psychologie, der Organisationspsychologie, der Soziologie, der Kognitionswissenschaft und der Arbeitswissenschaft im Allgemeinen. Ziel der Arbeitsgestaltung mit HOP ist es, dass die Beschäftigten die Arbeitssituation vorfinden, die am besten zu ihren Fähigkeiten und Grenzen passt, und dass sie dabei zu entscheidenden Akteuren werden.
Mit HOP wird nun ein Ansatz etabliert, der auf den zuvor eingeführten Problemen und Erkenntnissen aufbaut und insbesondere die hinter der Diagnose „menschliches Versagen” verborgenen oder unbekannten Probleme aufdeckt. HOP-Anwender streben ein kollektives Verständnis von normaler Arbeit, kritischen Abwehrmaßnahmen und großer Widerstandsfähigkeit gegen Unerwartetes an. Dies basiert auf einem expliziten Verständnis der Benutzer, Aufgaben und Umgebungen sowie der Fähigkeiten und Grenzen der Benutzer und ihrer Interaktion mit dem Arbeitssystem als Ganzes. Um dies zu erreichen, betrachtet HOP nicht nur menschliche, technologische und organisatorische Faktoren selbst, sondern insbesondere auch deren Wechselwirkungen. HOP basiert auf Erkenntnissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wie der experimentellen Psychologie, der Organisationspsychologie, der Soziologie, der Kognitionswissenschaft und der Arbeitswissenschaft im Allgemeinen. Ziel der Arbeitsgestaltung mit HOP ist es, dass die Beschäftigten die Arbeitssituation vorfinden, die am besten zu ihren Fähigkeiten und Grenzen passt, und dass sie dabei zu entscheidenden Akteuren werden.
2.2 Entstehung und Entwicklung
Die Entwicklung von HOP basiert auf der Erforschung der Human Performance (HP) in der Luftfahrt- und Nuklearindustrie. Dabei wurde nach den Ursachen für menschliches Versagen bei Störfällen und technischen Katastrophen gesucht. Das Ergebnis war, dass in den meisten Fällen nicht eine einzelne Person für den Unfall verantwortlich war. Die vermeintlich Verantwortlichen waren nur Auslöser und letztes Glied einer Ereigniskette, die immer auch organisatorische Ursachen hatte. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen und den Fokus von den menschlichen Fähigkeiten und Grenzen zu nehmen, wurde das Konzept zur Human and Organizational Performance (HOP) weiterentwickelt. Die offensichtliche Hervorhebung des organisatorischen Einflusses markierte einen Paradigmenwechsel in der Untersuchung von Ereignissen sowie in der Risikobewertung soziotechnischer Systeme.